Unheimliche Tiere spielen im Horrorgenre seit jeher eine Rolle. Manchmal nur als stimmungsförderndes Beiwerk, wenn sich bei der Kamerafahrt über den Sumpf eine Schlange durchs Bild windet oder im Spukschloss plötzlich Ratten aus den Fugenlöchern hervorkriechen. Oft stehen sie aber im Zentrum der Erzählung: Das Tier ist direkter Widersacher der Protagonisten und bedroht ihr Leben. Dies ist der erste Artikel einer Reihe, die sich Tieren im Horrorgenre widmet. Hier geht es zunächst um die Grundlagen – um die Geschichte des Tierhorrors und um seine typischen Motive.
Es gibt kaum eine Tierart, die noch nicht in einem Horrorfilm als tödliche Bedrohung inszeniert wurde: Alfred Hitchcocks „Die Vögel“ und Steven Spielbergs „Der weiße Hai“ sind Meilensteine des Tierhorrors. Doch auch Spinnen, Piranhas, Bienen, Affen und Hunde haben in Filmen schon so manche amerikanische Vorstadtfamilie ausgelöscht. Selbst harmlose Tiere wie Frösche, Schafe und Biber wurden bereits – mal augenzwinkernd, mal enttäuschend ernst gemeint – als blutrünstige Killer inszeniert.
Dieser Artikel bietet einen kurzen Abriss zur Geschichte des Tierhorrors und geht dann auf die Hauptmotive dieses Genres ein: Die Verwandlung in ein Tier und das Tier als Bedrohung des Menschen.
Die Geschichte des Tierhorrors
Höhlenmalereien, antike Sagen und Märchenfiguren: Die Wurzeln des Tierhorrors
Erzählungen über furchteinflößende Tiere sind älter als die Literaturgeschichte und spiegeln sich bereits in den Höhlenmalereien der Altsteinzeit wider.
Literarisch überliefert sind Geschichten um todbringende Tiere schon seit der Antike: Rund sieben- bis achthundert Jahre vor Christus erzählte beispielsweise der Dichter Hesiod in seiner „Ilias“ von der Chimäre – einem dreiköpfigen Mischwesen aus Löwe, Ziege und Schlange, das Feuer speien konnte.
Auch in den Erzählungen um den griechischen Helden Herakles tauchen zahlreiche monströse Tiere auf: So kämpft Herakles unter anderem gegen einen Löwen mit undurchdringlicher Haut, einen gigantischen Eber, menschenfressende Pferde und gegen Vögel, die aus der Höhe ihre metallenen Federn abwerfen und damit Menschen aufschlitzen konnten.
Allerdings gelten diese frühen Mythen noch nicht als Horrorgeschichten im eigentlichen Sinne. Doch auch in der Schauerromantik des 18. und 19. Jahrhunderts spielen unheimliche Tiere häufig eine zentrale Rolle. Als Prototyp eines sich unnatürlich menschlich verhaltenden Raubtiers in einer weitgehend realistisch beschriebenen Umwelt kann sicherlich der „große böse Wolf“ aus dem Märchen „Rotkäppchen gelten. Dieses Märchen greift bereits viele Elemente klassischer Tierhorrorgeschichten vorweg: Anders als in anderen Märchen oder Sagen beschränkt sich das Element des Übernatürlichen hier auf den Wolf als Widersacher.1Und in der älteren Fassung von Charles Perrault gibt es auch kein Happy End und keinen rettenden Jäger. Das Märchen endet dort damit, dass Rotkäppchen vom Wolf gefressen wird. Erst spätere Überarbeitungen – wie die der Gebrüder Grimm – fügen ein positives Ende hinzu. Ansonsten gibt es keine weiteren übernatürlichen Elemente, womit Rotkäppchen bereits einige typische Kennzeichen phantastischen Horrors aufweist: Die übernatürliche Bedrohung bricht in eine ansonsten realistisch anmutende Umgebung ein. Der Wolf verfügt zudem über menschliche Intelligenz. Das bedrohliche Tier zeigt also art-untypische Eigenschaften. Und zu guter Letzt ist der große böse Wolf aus „Rotkäppchen“ kaum verschleiertes Symbol für eine animalisch-destruktive Sexualität. Das alles sind Merkmale, die man später zwar nicht in allen, aber doch in sehr vielen Tierhorrorfilmen findet.
Tiere mit menschlichen Eigenschaften oder sich verwandelnde Tiere findet man auch in anderen Geschichten der Schwarzen Romantik. Beispielhaft seien hier der in menschlicher Sprache reimende Vogel aus Ludwigs Tiecks „Der blonde Eckbert“ und Serpentina aus E.T.A Hoffmanns „Der goldne Topf“ genannt. Serpentina ist die Tochter eines Elementargeists und einer Schlange: Doch obwohl sie als Schlange geboren wurde, kann sie die Gestalt einer schönen Frau annehmen.
Der amerikanische Schriftsteller Edgar Allan Poe vollzieht in seinen Geschichten über beängstigende Tiere bereits eine sehr starke Loslösung von klassischen Märchen- und Sagenmotiven. In „The Black Cat“ berichtet der alkoholkranke Erzähler davon, wie er seinem Kater im Rausch ein Auge ausgestochen hat. Das schlechte Gewissen darüber versucht er im Alkohol zu ertränken, was sein gewalttätiges Verhalten jedoch nur verstärkt: Er misshandelt das Tier weiterhin und wird sogar seiner Frau gegenüber immer bösartiger. Schließlich erhängt er den Kater an einem Baum. Die darauffolgenden Träume von dem ermordeten Tier, dessen Kadaver am nächsten Tag unauffindbar ist, und der zunehmende Wahnsinn des Protagonisten lassen sich zwar als Rache eines tierischen Gespenstes interpretieren, sie können aber genauso gut dem alkohol-umnebelten und schuldgeplagten Hirn des Mannes entspringen.
In Poes Kurzgeschichte „Der Doppelmord in der Rue Morgue“ gibt es nichtmal die Andeutung einer übernatürlichen Kraft. Die Geschichte handelt vom Ermittler C. Auguste Dupin, der durch logische Deduktion beweist, dass der mysteriös erscheinende Mord an zwei Frauen von einem Orang-Utan begangen worden ist. Dieser war zuvor seinem Besitzer entflohen, hatte selbigen jedoch mehrfach beim Rasieren beobachtet. Beim Versuch, dies mit anderen Menschen nachzuspielen, schneidet das Tier einer Frau die Kehle durch. Eine andere Frau entdeckt dies und beginnt zu schreien, woraufhin das panische Tier sie erwürgt. „Der Doppelmord in der Rue Morgue“ ist zwar eher Kriminal- als Horrorgeschichte, beinhaltet aber ebenfalls ein wesentliches Merkmal vieler späterer Tierschocker: Die Gräuel entstehen dadurch, dass ein Tier unerwartet menschliche Züge und Verhaltensweisen zeigt.
Tierhorror im 20. Jahrhundert: Bestien auf der Leinwand
Eines der bekanntesten tierischen Mischwesen erfuhr seine heutzutage so populäre Ausformung erst im 20. Jahrhundert: der Werwolf. Zwar erzählte der römische Dichter Ovid bereits vor über 2000 Jahren vom grausamen König Lykaon, der einen gefangenen Menschen rösten und kochen ließ und als Strafe dafür von Zeus in einen Wolf verwandelt wurde.2Die Ähnlichkeit des Namens „Lyakon“ und Lykanthropie kommt nicht von ungefähr, denn beide Worte verweisen auf das altgriechische Wort „lýkos“, das „Wolf“ bedeutet. Und auch in der mittelalterlichen Völsunga-Saga tauchen bereits Werwölfe auf. Das klassische Erzählmuster von Werwolfgeschichten entstand jedoch erst in der Neuzeit:
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- Ein Mensch wird verflucht oder von einem anderen Werwolf gebissen.
- Es folgt die Verwandlung in ein monströses menschenmordendes Tier.
- Dann wird die wahre Identität des Monsters aufgedeckt.
- Zu guter Letzt wird der Werwolf schließlich getötet (meist unter Anwendung von Silberwaffen, der Nutzung von Zauberformeln usw.).
- Mit dem Tod erfolgt die Rückverwandlung des Werwolfs in einen Menschen.
Die wenigsten Geschichten über Mischwesen weisen dasselbe Erzählmuster auf wie die Werwolfsgeschichten. Ein Grundthema ist ihnen jedoch gemeinsam: Mit der Metamorphose in einen Tiermenschen verliert der Verwandelte seine Affektkontrolle. Ob Mordlust, Hunger oder Sexualtrieb – mindestens einer dieser Triebe bricht ungehemmt und destruktiv hervor. Die Bestie will töten, fressen oder vergewaltigen!
Zwar gab es im frühen 20. Jahrhunderts mit Erzählungen wie Guy Endores „Der Werwolf von Paris“ (1934) auch erfolgreiche Werwolf-Romane, doch die typischen Werwolf-Motive erlangten vor allem durch Filme Bekanntheit.
Überhaupt ist der Film ganz allgemein das prägende Medium, was den Tierhorror betrifft. Der Film „The Werewolf“ von Henry MacRae kam bereits 1913 in die Kinos. Der Universal-Klassiker „The Wolf Man“ im Jahr 1941. Mit „Formicula“ und „Tarantula“ geraten in den 50er-Jahren auch Spinnen und Insekten ins Blickfeld des Horrorpublikums. Zu riesiger Größe angewachsen, bedrohen sie die Städte der Menschen. 1963 schafft es Hitchcock dann, Vögel als apokalyptische Bedrohung erscheinen zu lassen. Und Stephen Spielbergs 1975 veröffentliches Meisterwerk „Der weiße Hai“ ist Vorbild für zahlreiche Hai-Schocker, von denen kaum einer die Klasse des Originals erreicht. Die heute weitgehend vergessene Romanvorlage führte 44 Wochen lang die Bestseller-Listen an und bewies, dass Unterwasser-Horror sich auch in Buchform verkauft.
Der Werwolf als bekanntestes Tier-Mensch-Wesen prägt seit dem frühen 20. Jahrhundert Horrorgeschichten um tierische Bestien.
Tierhorror seit den 70ern: Umweltschutz als moralisches Feigenblatt
Drei Faktoren führten dazu, dass es Ende der 70er-Jahre und insbesondere in den 80er-Jahren zu einer wahren Schwemme an Tierhorrorfilmen kam:
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- Der immense kommerzielle Erfolg von „Der weiße Hai“, durch den Tierschocker auf einmal sehr viel einträglicher wirkten als in den Jahrzehnten zuvor. Spielbergs Hai-Film spielte fast das Siebzigfache seiner Produktionskosten ein.
- Im Zuge der erstarkenden Tierrechtsbewegung wuchs einerseits das generelle Interesse an Tierfilmen und zudem konnte man die oft als verrufen wahrgenommenen Horrorfilme mit einer moralischen Botschaft verkaufen: Sie würden die Rache einer geschundenen Tierwelt illustrieren.
- Zusätzlich zum Mainstream-Kino entwickelte sich in den 80er-Jahren der Heimvideo-Markt – mit einer Zielgruppe, die auch schnell und billig produzierte Horrorfilme akzeptierte, solange diese B-Movies nur ausreichend Splatter-Effekte zeigten. Filme über blutrünstige Tiere versprachen genau das.
In den späten 70ern und nachfolgenden 80er-Jahren gab es zahllose Tierhorrorfilme, in denen mit hochmoralischem Fingerzeig erklärt wurde, dass sich die geschundene Natur lediglich an dem umweltzerstörenden Menschen rächt. Mal traf es Raubtierkapitalisten, die die Chemieabfälle ihrer Fabriken in die Natur kippten und als Strafe dafür von echten Raubtieren zerrissen wurden. Mal experimentierten skrupellose Forscher mit zerstörerischer Radioaktivität und wurden die Opfer von Tieren, die durch diese Strahlung zu riesiger Größe herangewachsen waren.
Bereits der 50er-Jahre-Klassiker „Tarantula“ warb mit der menschheitskritischen Aussage: „Der Mensch selbst schuf das Ungeheuer, das ihn zu vernichten droht.“ Auch viele Tierschocker nachfolgender Jahrzehnte betonten, dass deren monströse Bestien sich nur an ihren Peinigern rächen würden.
Horrorfilme, in denen das Verhältnis von Mensch und Natur genauer beleuchtet wird, sind aber überaus selten. Denn auch wenn in vielen Horrorproduktionen jemand mit ernster Miene erklärt, dass die Gewalt ursprünglich vom Menschen ausgegangen sei, wird dieser Aspekt fast nie vertieft. Stattdessen hangelt man sich von einer Schock-Szene zur nächsten. Und so kann man Georg Seeßlen und Fernand Jung nur zustimmen, wenn sie in ihrem Buch „Horror. Geschichte und Mythologie des Horrorfilms“ über die Message solcher Filme urteilen: „Diese hochmoralische Botschaft ist selten mehr als ein schöner Vorwand, unseren alten Albträumen ein neues kineomatographisches Gewand zu verleihen.“3Georg Seeßen und Fernand Jung: „Horror. Geschichte und Mythologie des Horrorfilms“. Marburg: 2006. S. 586.
Tatsächlich war die Fülle schlecht geschriebener Tierhorrorfilme in den 80er-Jahren so immens und die Auswahl der als gefährlich dargestellten Tiere mitunter so grotesk, dass Tierschocker bis auf wenige Ausnahmen als reine Trash-Filme wahrgenommen wurden. Eine ernsthafte Annäherung an das Genre schien nach Filmen wie „Slugs“, in dem Nacktschnecken durch Kontakt mit Chemieabfällen zu tödlichen Raubtieren mutieren, kaum noch möglich. Infolgedessen drückten viele Filmmacher inszenatorisch ihre Distanz zur Filmhandlung aus: Die Selbstironie hielt Einzug in den Tierhorror und es wurden bewusst auch komödiantische Elemente genutzt.
Slugs: Einer vollkommen absurden Prämisse stehen erstaunlich detaillierte Splattereffekte gegenüber. Dank der Schnittechnik müssen die Zuschauer immerhin nicht warten, bis die winzigen Kriecher endlich ihre Opfer erreicht haben.
Seit den 2000ern hat die Produktion an Tierschockern, die von vornherein als augenzwinkernde Trash-Filme konzipiert sind, immens zugenommen. Anders als bei vielen Produktionen der 80er-Jahre, die eher unfreiwillig komisch geraten sind, darf man bei Filmen wie dem 2018 erschienenen „Sky Sharks“ allerdings davon ausgehen, dass die Produzenten durchaus wussten, wie absurd ihre Idee ist. Denn „Sky Sharks“ handelt von Nazi-Zombies, die auf Flughaien reitend ein Passagierflugzeug überfallen!
Ernstgemeinter Animal-Horror wird zwar auch weiterhin produziert, doch der Anteil als Horrorkomödien angelegter Tierschocker hat im Vergleich zu den vorherigen Jahrzehnten deutlich zugenommen. So gab es in den 2010er-Jahren durchaus ernstgemeinte Tierhorrorfilme: beispielsweise den kanadischen Survival-Film „Backcountry“, in dem ein Pärchen bei einem Wanderausflug in das Revier eines Bären gerät, oder „Crawl“, in dem eine Springflut nicht nur zahlreiche Häuser überschwemmt, sondern zu allem Überdruss auch noch dafür sorgt, dass Alligatoren in die Wohnung eines Protagonisten hineingelangen. Solchen ernstgemeinten Filmen neueren Datums steht aber eine wahre Flut an Horrorkomödien gegenüber. Beispielhaft seien hier „Zombiber“ mit seinen blutrünstigen Nagetieren und die Sharknado-Fortsetzungen genannt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Subgenre Tierhorror inzwischen deutlich segmentierter ist als zu seiner Entstehungszeit: Aufwändig produzierten Tierschockern stehen schnell abgedrehte Trash-Filme und zahlreiche Horrorkomödien gegenüber. Die Zahl ironiefreier Produktionen hat im Vergleich zu den 70er- und 80er-Jahren jedoch etwas abgenommen (Wobei „ironiefrei“ nicht heißt, dass viele älteren Filme aufgrund ihrer Schwächen nicht trotzdem erheiternd wirken können. Nur war das nicht immer von den Produzenten so geplant). Ganz aus den Kinos verschwunden ist der ernstgemeinte Tierhorror aber bis heute nicht.
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