Schutzräume für Nerds: Plädoyer für einen stärkeren Themenbezug in Special-Interest-Gruppen

Schutzraum für einen Nerd

Es gibt Millionen von ihnen: Menschen, die anders wirken wollen als alle anderen. Der Wunsch nach Andersartigkeit ist der neue Mainstream. Nerds hatten es in dieser Hinsicht bislang einfach: Sie galten schon per se als „irgendwie anders“. Und egal, ob Science-Fiction- oder Horrorfreaks, Rollenspieler oder Comic-Sammler: Diese Andersartigkeit resultierte stets aus einer Leidenschaft für ihr spezielles Themengebiet. Umso erstaunlicher, dass in den Social Media viele Leute zwar weiterhin ihre Andersartigkeit betonen, aber an echten Diskussionen über ihr angebliches Lieblingsthema kaum noch interessiert sind. Das führt zu der bizarren Situation, dass einem selbst in Special-Interest-Gruppen täglich derselbe Themenbrei serviert wird, den man auch überall sonst schlucken muss. In so mancher Facebook-Horrorgruppe fühlte ich mich eher wie bei Tinder, weil dort Smalltalk, unbeholfene Flirtversuche und Mann-Frau-Witze deutlich mehr Raum einnahmen als Gespräche über das Horror-Genre.

Der Begriff „Nerd“ – ursprünglich ein Schimpfwort für fachlich begabte, aber sozial inkompetente Computerfreaks – hat längst eine Bedeutungsänderung erfahren. Inzwischen werden damit allgemein Menschen beschrieben, die sich intensiv mit echten oder vermeintlichen Nischenthemen beschäftigen: Mit Comics, Video- und Rollenspielen, Science Fiction und diversen anderen Spielarten der Phantastik. Auch die negative Konnotation hat abgenommen. Während das Wort „Nerd“ früher zur Bezeichnung verschrobener Sonderlinge diente, schmücken sich Menschen damit inzwischen wie mit einer funkelnden Auszeichnung. „Oh, ich bin so ein Nerd!“, behauptet stolz manche Comicleserin, so wie der abgebrühte Filmegucker gern verkündet: „Ich bin ein echter Horror-Freak!“ Und nur zwei Facebook-Klicks weiter weiß die Cosplayerin: „Ich besitze mehr als 30 Anime, ich bin ein echter Otaku!

Doch obwohl sich viele Leute gern mit ihrer ausgeprägten Liebe zu einem bestimmten Themengebiet brüsten und die Vernetzung von Interessengruppen dank Social Media so einfach ist wie nie zuvor, flacht die Diskussionsliebe ab. Wobei man das relativieren muss. Sie flacht nicht generell ab: Man trifft sich in Social-Media-Groups und dann diskutiert man dort über Politik, Umweltzerstörung und darüber, was man am Abend gekocht hat und wie sehr man allen einen schönen Abend wünscht. Diskussionen über das eigentliche Hauptthema? In vielen Gruppen muss man lange scrollen und findet dann eventuell einen vereinsamten Beitrag mit Themenbezug. Von niemanden kommentiert ist dieser Beitrag oft das letzte Zeugnis eines genervten Users, der sich bald aus der Gruppe verabschiedet. Und sich vermutlich eine andere Nerd-Gruppe sucht, die sich tatsächlich ihrem gewählten Thema widmet und keine Single-Resterampe, Witz-Sammlung oder politische Bestätigungskammer ist, in der man sich gegenseitig auf die Schulter klopft.

Unterschiedliche Arten von Nerds: Cosplayer und Science-Fiction-Fans, Comic-Sammler, Rollenspieler, Horrorfreaks & Goths

Ob Fantasy-Leser, Cosplayer, Rollenspieler, Comic-Sammler oder Horrorfan: Im Folgenden wird der Begriff „Nerd“ als Sammelbegriff für Menschen mit Leidenschaft für ein spezielles nichtsportliches Hobby oder Themengebiet gebraucht, zu dem die Allgemeinheit nur schwer Zugang findet.

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Exkurs zur Ausrichtung dieses Beitrags und dem Begriff Nerd.

Ich habe den Begriff „Nerd“ gewählt, weil er umgangssprachlich gebräuchlich und kurz ist und gleichzeitig bei den meisten Lesern die richtigen Assoziationen wecken dürfte, um welche Gruppen es hier geht. Tatsächlich gibt es aber keine allgemeingültige Definition dieses Begriffs, sondern nur verschiedene Interpretationen (und wie so häufig im Netz behaupten natürlich die meisten, dass ihre die einzig richtige ist). Hier ein Link zu einer meiner Meinung nach ganz brauchbaren Begriffserklärung und Definition

In diesem Beitrag beziehe ich mich generell auf Social-Media-Gruppen mit einer Special-Interest-Ausrichtung, die vom Mainstream oft als absonderlich oder kindisch wahrgenommen wird. Das betrifft Horror-Fans und Goths (Standardreaktion auf selbige: „Wie kann man sich nur für so düstere Themen und den Tod interessieren?„) ebenso wie Science-Fiction und Fantasy-Leser („Das ist doch Realitätsflucht! Beschäftigt euch doch mal mit den wirklichen Problemen im Leben!„), Rollenspieler („Als Erwachsener so viel Zeit in Spiele zu investieren ist doch albern!„) oder Anime-Fans („Das ist doch nur was für kleine Kinder und Pädophile!„).

Aber jedes Mal zu schreiben „Social-Media-Gruppen mit einer Special-Interest-Ausrichtung, die vom Mainstream oft als absonderlich oder kindisch wahrgenommen werden“ hätte den Lesefluss etwas gehemmt. Ich hoffe daher, dass ihr mir die verzeiht, wenn ich im Folgenden schlicht zusammenfassend von „Nerd-Gruppen“ schreibe. 😉

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Foren und Social-Media: Vom Leben und Sterben der Online-Kommunikation

An dieser Stelle dürft ihr euch ruhig mein altersschwaches Husten vorstellen, aber für viele Menschen mit Interessen abseits des Mainstreams war das Internet damals eine wahre Erlösung! Statt frustriert in der dörflichen Isolation aufzuwachsen, in der so gut wie niemand die eigenen Interessen teilte, konnte man sich endlich mit Gleichgesinnten austauschen. Endlich bemerkte man, dass es mehr Leute mit ähnlichen Vorlieben gab. Zahlreiche spezialisierte Foren schossen aus dem Boden, in denen ausgiebig und voller Wonne über diverse Nerd-Themen diskutiert wurde. Paradiesische Zeiten waren das. Ich verkläre da nichts!

Nun könnte man meinen, mit den fortschreitenden technologischen Möglichkeiten müsste der rege Austausch über Spezialthemen noch zugenommen haben. Mein persönlicher Eindruck ist aber ein anderer: Zunächst begann das große Forensterben, dann häufig die Reorganisation in Social-Media-Gruppen, in denen dann aber vielfach der Themenbezug aufgeweicht wurde, um nicht ebenso wegzusterben wie einst die Foren.

Aber wenn der Themenbezug immer mehr in den Hintergrund gerät, was macht solche Special-Interest-Gruppen dann eigentlich noch so special“? Wenn die Mehrheit themenbezogene Beiträge nur noch als Störung ihrer Politik-Debatten, Altherren-Witze und Flirtversuche begreift, dann ist man im Grunde keine Themengruppe mehr. Dann unterscheidet man sich eigentlich kaum noch von dem so oft gescholtenen Mainstream und hängt lediglich noch am Image des unangepassten Abweichlers. Warum wählen solche Leute dann aber Horror-, Fantasy-, Rollenspiel- oder diverse andere Genre-Gruppen als ihre Heimat, statt sich in allgemeinen Politik- oder Dating-Gruppen auszutoben?

Die Erklärung: Oft ist es keine bewusste Entscheidung Einzelner, gleich das Thema der Gruppe über Bord zu werfen. Vielmehr brennt es ihnen auf der Seele, nur diesen einen Witz zu erzählen, nur dieses eine gesellschaftspolitische Thema zu besprechen, das ihnen wichtig ist. Sie wollen nur dieses eine Mal mit einem inhaltsleeren Gruß etwas Aufmerksamkeit gewinnen und Likes abgrasen. Aber die anderen sollen dann doch bitte thementreu bleiben.

Das Problem: Wenn jeder so denkt, dann schreibt niemand mehr themenbezogen, und in Nullkommanix wird die Horror- oder Science-Fiction-Gruppe zur Ansammlung von Grüß-Heinis und Witze-Erzählern.

 

Bullshit-Bingo für Horror- und Gothic-Gruppen

Bullshit-Bingo für Horror- und Goth-Gruppen

Einzelne solcher Beiträge sind noch kein Warnzeichen. Aber wenn ihr innerhalb weniger Tage eine Bingo-Reihe voll bekommt, dann ist mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Gruppenthema kaum zu rechnen. Die Gruppe wurde leider von Selbstdarstellern, Missionaren, Grüßheinis und Witzbolden gekapert oder liegt im Sterben.

 

Offtopic: Was in Nerd-Foren noch funktioniert, ist der Todesstoß themenbezogener Facebook-Gruppen

Natürlich gibt es sie noch: Gut besuchte Foren zu Themen wie Fantasy, Horror, Science Fiction, zu Superhelden oder Mangas. Aber es sind deutlich weniger geworden. Als ich damals meine ersten Klicks ins Internet setzte, führte mich meine Suche nach Gleichgesinnten fast automatisch zu entsprechenden Special-Interest-Foren. Heutzutage muss man hingegen deutlich länger suchen, um auf ein Forum zu stoßen, das noch von einer aktiven Community getragen wird. (Und nicht von einer Handvoll treuer Anhänger wie ein Komapatient künstlich am Leben gehalten wird)

Inzwischen dürfte der digitale Erstkontakt mit anderen Nerds weitaus häufiger auf Facebook stattfinden. Das Äquivalent zu Foren sind dort Gruppen, die sich eng abgegrenzten Themen widmen. Oder die zumindest behaupten, sich diesen zu widmen. Allerdings ist die Halbwertszeit von Facebook-Postings weitaus kürzer als die jedes Forenbeitrags. In Foren werden Themenstränge oft über Monate gepflegt und der Austausch von Ansichten und Argumenten findet längerfristig statt. Und selbst wenn eine Diskussion zwischenzeitlich pausiert und andere Themen in den Vordergrund rücken, findet man durch die Suchfunktion und Strukturierung von Foren relevante Themendiskussionen schnell wieder. Auch in Special-Interest-Foren gab und gibt es natürlich Beiträge, die nichts mit dem Hauptthema des Forum zu tun haben. Aber solche Off-Topic-Beiträge verdrängen aufgrund der klareren Strukturierung von Foren nicht die themenrelevanten Beiträge.

Der Posting-Strom auf Facebook gleicht hingegen einem Fluss voller Piranhas. Ein Beitrag wird wie ein Stück Fleisch in den News-Feeds geworfen und schon stürzen sich Dutzende von Usern darauf. Jeder beißt sich ein Stück heraus, das er kommentiert. Aber nach ein zwei Bissen ist es das meist gewesen. Sobald der nächste und größere Brocken vorbeischwimmt, ist der alte Beitrag schnell vergessen und versinkt tot irgendwo im Datennirvana. Niemand wird Wochen später noch auf Facebook einen alten Gruppenbeitrag kommentieren.

Und gerade deswegen ist es meiner Meinung nach in den Social-Media-Gruppen noch wichtiger als in Foren, auf eine gewisse Themenrelevanz zu achten. Wenn jemand in einem Science-Fiction oder Horror-Forum gerne sein neues Ausgeh-Outfit präsentieren oder über die US-amerikanische Außenpolitik debattieren möchte, dann dümpelt dieser Beitrag in der Forenhierarchie auf der untersten Ebene im Off-Topic-Bereich herum. Alle themenrelevanten Beiträge bleiben weiterhin gut sichtbar. Auf Facebook ist das nicht der Fall: Wer dort in einer Gruppe ständig Themenfremdes in den Feed bläst, verdrängt andere Inhalte.

 

Wie so oft gilt: Die Dosis macht das Gift

Damit man mich nicht missversteht: Ich bin nicht für den Ausschluss sämtlicher gesellschaftlich relevanter Themen in Nerd-Gruppen. Impulse von außen sind wichtig, damit man sich weiterentwickeln kann. Und damit man den Umgang und die Inhalte seines Lieblingshobbys auch mal kritisch hinterfragt. Dass man infolge feministischer Strömungen die im Fantasy- und Horrorgenre übliche Darstellung von Frauen hinterfragt hat (die meist auf die Rollen Hexe, aufreizende Verführerin oder hilfloses Opfer reduziert waren), war beispielsweise längst überfällig. Und hier wäre in entsprechenden Special-Interest-Gruppen ja auch ganz klar ein Themenbezug gegeben. Störend wird es erst, wenn der Bezug zum Gruppenthema irgendwann nur noch halbherzig angeheftetes Feigenblatt ist, mit dem man versucht, eigene politische Ansichten in die Gruppendiskussion zu schmuggeln:

Typischer Dialog von Offtopic-Usern.

Ich habe das Beispiel mit dem Atheismus gewählt, damit man mir nicht nachher vorwerfen kann, ich wolle hier gezielt bestimmte Interessengruppen diffamieren. Denn ich bin selbst Atheist. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass zumindest meine Leser aus Rollenspielgruppen diese Art der Diskussion auch mit anderen Themenaufhängern erlebt haben. Wenn aber jemand im Sinne seiner Ideologie in Nerd-Gruppen ständig versucht, unter fadenscheinigen Gründen seiner Missionierungsarbeit zu frönen, dann würde ich mir wünschen, dass mehr User das ablehnen – selbst dann, wenn sie dessen Überzeugung teilen. Es tritt ja auch niemand in einen Fußballverein ein, um dort dann Kleidung zu nähen (mit der Begründung, dass die Mannschaft ja Kleidung trägt und damit ein Bezug zum Hobby gegeben ist).

Das heißt keinesfalls, dass man sein Hobby nie kritisch hinterfragen sollte. Jedes Medium, jedes Genre und jede Gruppe sollte man gelegentlich darauf prüfen, ob dort nicht veraltete und schädliche Inhalte verbreitet werden. Doch wie der obenstehende etwas überspitzte Dialog verdeutlicht, gibt einen Unterschied zwischen gelegentlicher kritischer Überprüfung und einem Missionierungsfeldzug in eigener Sache. Und es ist auch relevant, ob und wie stark gesellschaftspolitische Entwicklungen tatsächlich mit dem Gruppenthema verknüpft sind. Die Sexualisierung von Frauen in der phantastischen Literatur und Rollenspielszene lässt sich angesichts der damaligen Cover kaum wegdiskutieren. Wer aber bei jeder Darstellung eines Insektoidenvolkes dieses als Symbol des kommunistischen Kollektivs und Anklage an linker Politik interpretiert und das dann als Einladung versteht, über die gegenwärtige Ostpolitik zu diskutieren, darf sich nicht wundern, wenn ihm irgendwann Gegenwind entgegenweht.

Rondrareckin Figur aus League of Angels Cover zum Horror-Flim The Unborn

Angesichts früherer Cover und Anzeigen aus dem Fantasy- und Horrorbereich muss man schon sehr engstirnig sein, um beim Thema „Sexismus“ keine Relevanz für die beiden Genres zu erkennen. Ob das als Legitimation reicht, in entsprechenden Nerd-Gruppen täglich aus der Gleichstellungs-Abteilung des Bundes zu berichten, ist eine andere Frage.

 

Die 4 apokalyptischen Reiter des Off-Topics

Noch kurz ein Gedanke zu diesem Missionierungsbestreben: Eigentlich ist der Ausdruck „Missionierung“ falsch gewählt. Denn jemand mit echtem Missionierungseifer würde andere überzeugen wollen. Überzeugungsarbeit gelingt aber nicht besonders gut, wenn man dem Leser die eigene Meinung täglich vorwurfsvoll ins Gesicht klatscht. Ein anklagendes Dauerfeuer an themenfremden Beiträgen dient also meist einem anderen Zweck: Selbstbestätigung. Eine Gruppe von Freunden und Sympathisanten gibt sich dann gegenseitig Likes für ihren provozierenden Spam und kann sich erzählen, wie doof alle anderen sind. Überzeugt wird so zwar niemand, aber man kann sich ganz wunderbar erhaben fühlen.

Ich habe das Beispiel mit den gesellschaftspolitisch relevanten Themen vorangestellt, weil sich die Menschen in diesem Zusammenhang am wenigsten schuldig fühlen. Man kämpfe ja für eine gute Sache, also müsse die Gruppe das aushalten. Tatsächlich gilt natürlich generell und auch für eher banale Beiträge: Die Dosis macht das Gift.

Beispielsweise ist es durchaus höflich, als Neuer in einer Gruppe mal kurz Hallo!“ zu sagen. Aber muss man sich täglich dunkle Morgengrüße, einen schön-schrecklichen Mittag und einen schaurigen Abend wünschen? Was einigen als parodistische Überspitzung erscheinen mag, habe ich in vielen Horror- und Gothic-Gruppen regelmäßig erlebt. Man stelle sich vor, bei mehreren Tausend Mitgliedern würde das jeder machen: Man müsste durch 10.000 Grüße scrollen, bevor man irgendeinen themenrelevanten Beitrag findet!

Dasselbe gilt für lustige“ Memes oder Selfies. Angesichts der Tatsache, dass ich mich hauptsächlich in Gruppen zur dunklen Phantastik herumtreibe, ist es schon grotesk, durch wie viele Sex- und Geschlechterkriegswitzchen ich mich dort lesen musste – und durch wie viele Schaut euch mal mein neues Outfit an„-Fotos klicken. Wenn man dann anmerkt, dass einen das langsam nervt, kommt meist ein anklagendes Hast Du keinen Humor?„.

Dass ich mich im Gegensatz zu anderen an die Gruppenregeln halte, hindert mich dann, die einzig angemessene Antwort auf solche Äußerung zu schreiben:

Natürlich hab ich Humor, aber wenn Du blödes Sackgesicht eigentlich nur Witze erzählen willst, warum bist Du dann überhaupt in dieser Gruppe angemeldet und nicht in einem Witze-Forum!? Du hast in den letzten 6 Monaten nicht einen themenrelevanten Beitrag gepostet, sondern rotzt hier täglich nur Deine angestaubten Altherren-Witze aus den 80ern rein! Es ist äußerst mühsam für jeden, durch Deinen Beitragsdreck zu wühlen, um mal zu was Interessantem vorzudringen! Also wenn Du nichts Themenrelevantes beizutragen hast, warum haust Du nicht endlich aus dieser Gruppe ab, deren Thema Dich offenbar nicht im geringsten interessiert?! Achja, und nimm’s bitte nicht persönlich … war ja nur humorvoll gemeint. 

Ich hoffe, irgendwann gibt es eine automatisierte Funktion, dank der man bei monatlich mehr als 5 Witzen in einer Gruppe einen solchen Beitrag als Standardantwort bekommt.

Aber zurück zum Thema: Zusammenfassend lassen sich also 4 Hauptvertreter des nervigen Off-Topics identifizieren:

  • Der anklagende Moralapostel: Diese Bezeichnung ist sehr viel treffender als Missionar“, denn der anklagende Moralapostel will eigentlich niemanden missionieren. Daher ist das anklagend auch sein wesentlicher Charakterzug. Ihm geht es vor allem darum, sich selbst als moralisch überlegen darzustellen. Da ernsthafte Überzeugungsarbeit bei ihm höchstens zweitrangiges Ziel ist, schert er sich nicht im geringsten darum, ob seine Beiträge aufgrund ihrer Frequenz oder ihres nur losen Themenbezugs inzwischen nur noch mit genervtem Augenrollen quittiert werden. Klassischerweise leitet er seine Beiträge erstmal mit einer generalisierenden Beleidigung der Gruppenmehrheit ein: Männliche Rollenspieler oder Comic-Sammler sind alle Sexisten, die Cosplayerinnen oder weiblichen Goth von heute alle oberflächliche Luder, Fans modernen Horrors Gewaltverherrlicher und Anime-Fans, die sich nicht täglich von Kindesmissbrauch distanzieren, sind Pädosexuelle. Davon ausgehend leitet er dann über zu den Themen Anstand, Sexismus oder irgendeinen anderen Ismus“. Und sobald Gegenwind kommt, inszeniert er sich als unverstandenes Opfer, das doch nur zu einer besseren Welt beitragen will. Und für ihn gehört das Beleidigen anderer Menschen natürlich dazu. Denn nur so kann man die anderen aufrütteln, oder nicht?
  • Der Grüßheini: Ist man länger in einer Gruppe mit Grüßheinis aktiv, dann kennt man deren Tagesrhythmus irgendwann sehr genau, denn nach dem Aufstehen wünschen sie einen guten Morgen, mittags Mahlzeit!“ und abends einen schönen oder schaurigen Abend. Noch befremdlicher als das finde ich allerdings, dass solche Beiträge auch regelmäßig gelikt werden. Aber vielleicht klappt das ja auch mit diesem Blogartikel hier. Daher: Habt alle einen schönen Abend!
  • Das Aufmerksamkeits-Hascherl: Nicht immer, aber oft ist das Aufmerksamkeits-Hascherl eigentlich nur auf Partnersuche. An Themendiskussionen wird es sich so gut wie nie beteiligen, sondern stattdessen immer wieder Selfies von sich posten, in der Hoffnung, dass sich die beziehungswilligen Gruppenmitglieder dann in Scharen melden. Oder es will – wie der Name ja schon verrät – einfach nur kurz Aufmerksamkeit. Oft werden die Selfies mit der Frage Na, wie findet ihr mein neues Outfit“ kombiniert. Gelegentlich ist das Aufmerksamkeits-Hascherl aber gleichzeitig auch ein Grüßheini. Dann gibt’s den Morgengruß eben zusammen mit einem Selfie.
  • Der Witzbold: In einer Rollenspiel-Gruppe Witze übers Rollenspiel? In einer Anime-Community Animes parodieren? Das ist dem Offtopic-Witzbold zu kompliziert. Er ist der Mario Barth des Internets! Bei ihm gibt es nur 3 Arten von Witzen: Witze über Frauen, Witze über Männer, Witze darüber, wie krass grummelig er nach dem Aufstehen ist! Neben Witzen regelmäßig themenrelevante Beiträge posten? Das ist ihm auch zu kompliziert, aber er ist schon krass der Nerd. Fast so krass, wie er krass grummelig vor dem Kaffee ist! Du magst über seine Witze nicht lachen, weil die so alt sind, dass Du Angst hast, beim Lachen ihre Schimmelsporen einzuatmen? Das kann seiner Meinung nach nur daran liegen, dass Du keinen Humor hast!

Da absichtliches Missverstehen von Beiträgen im Internet für manche eine Tugend ist, betone ich nochmal: Es geht mir nicht darum, anklagend den Finger auf jene zu richten, die überwiegend zu einer Diskussion rund um das gewählte Gruppenthema beitragen und nur ab und zu Themenfremdes posten. Es geht vielmehr um das Problem, dass es bei einigen Usern die Ausnahme ist, wenn sie überhaupt mal etwas mit echtem Themenbezug posten.

 

Themenbezug erfordert Dialog und (gezielte) Beteiligung

Mit vielen Nerd-Gruppen ist es so mit Discotheken oder Kultur-Events: Man geht nie hin, investiert nichts, und wenn der Laden dann dicht oder die Veranstaltung abgeschafft ist, dann klagt man, wie schade das doch ist. Aber damit in einer Gruppe ein lebendiger Austausch stattfindet und gleichzeitig nicht die Identität der Gruppe verlorengeht, ist es eben notwendig, ab und zu auch selbst etwas dazu beizutragen. Eigentlich bedarf es dazu nicht viel. Ich habe hier mal ein paar Tipps zusammengestellt, die zeigen, was jeder selbst dazu beitragen kann, damit die geliebte Nerd-Gruppe nicht irgendwann in die Beliebigkeit abrutscht.

  • Feedback zu interessanten Beiträgen geben: Es klingt banal, aber scheint vielerorts noch nicht angekommen zu sein: Wenn jene User, die viel Mühe in das Verfassen interessanter Beiträge investieren, nie eine Reaktion auf diese Beiträge erhalten, dann werden sie irgendwann aufhören, welche zu posten. Damit wandern die Gruppenmitglieder als erste ab, die sich um eine themengebundene Diskussionskultur am intensivsten bemühen.
  • Weniger positive Verstärkung für Offtopic-Beiträge: Hängt stark mit dem obigen Beitrag zusammen. Wenn sexy Pictures, Selfies und Altherrenwitze regelmäßig Hunderte von Likes bekommen, informative Beiträge aber nicht, dann schlussfolgert der Algorithmus, dass entsprechende Offtopic-Beiträge offenbar die beliebtesten sind. Und spielt dann genau diese im News-Feed der Gruppenmitglieder aus. Ich war beispielsweise in manchen Gruppen sehr überrascht, dort tiefschürfende Rezensionen zu finden. Denn diese habe ich erst gesehen, als ich direkt in die Gruppe schaute, weil der Algorithmus mir in meinem Feed nur Selfies und Kalauer-Memes angezeigt hatte.
  • Häufiger kommentieren, statt nur still zu liken: Ein Like ist keine Unterhaltung. Und auch nicht besonders interessant. Wie lange würdest Du an einem Gespräch teilnehmen, in dem Dein Gegenüber nie etwas sagt, sondern immer nur stumm den Daumen hochhält? Das soll keine Aufforderung sein, ständig seinen Senf zu Dingen abzulassen, von denen man keine Ahnung hat. Aber wenn euch zu einem Beitrag noch interessante Ergänzungen einfallen oder ihr bestimmte Aspekte des Themas für besonders wichtig haltet, dann hinterlasst doch dazu einfach einen Kommentar. Das bietet mehr Anknüpfungspunkte für ein kommunikatives Miteinander als nur ein Like.
  • Das eigene Posting-Verhalten hinterfragen: Dein Hobby bzw. Dein Special Interest ist Teil Deines Selbstbildes? Aber postest Du überhaupt noch regelmäßig was dazu? Oder interessieren Dich inzwischen andere Dinge mehr? Wessen Beiträge in einer Horror- oder Fantasy-Gruppe zu 80 Prozent nur noch aus Witzen oder dem Gemecker übers andere Geschlecht bestehen, der trägt nicht viel zum Gruppenthema bei. Und wäre zudem in einer anderen Social-Media-Gruppe wahrscheinlich besser aufgehoben. Wem das Gruppenthema aber tatsächlich noch am Herzen liegt (und nicht nur das Image des Abweichlers), der sollte ab und zu Themenrelevantes posten.
  • Auch die gute Sache“ rechtfertigt keine Beleidigungen: Viele User, die auf Missstände innerhalb einer Gruppe aufmerksam machen wollen, glauben, das sei hinreichend Legitimation, den Großteil der Gruppe mit Unterstellungen zu beleidigen. Es findet praktisch eine Übertragung von Polit-Bewegungen auf die Social Media statt. Der Haken: Sowas hat in Nerd-Gruppen nicht den geringsten Sinn. Wenn bestimmte Interessengruppen auf Großdemos, bei öffentlichen Reden oder in größeren Gruppen mit vereinfachenden Parolen und Anklagen arbeiten, dann dient das oft dazu, zunächst einmal die Aufmerksamkeit der Medien zu erlangen, um ihre Botschaften dann einem größeren Publikum präsentieren zu können. In Gruppen zu einem Nischenthema wird das (insbesondere, wenn es auch noch eine geschlossene Gruppe ist) nie gelingen. Dort liest ausschließlich eine kleine, klar abgegrenzte Gruppe diese Beleidigungen und man gewinnt nicht im geringsten an Reichweite, sondern vergiftet nur die Gesprächskultur. Mit sachlich vorgetragenen Anregungen kommt man dort meist eher weiter.
  • Selber auch Interessantes zum Thema beitragen: Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber wenn alle nur darauf warten, dass andere Gruppenmitglieder interessante Beiträge schreiben, dann schreibt letztlich niemand was. Wenn ihr also einen faszinierenden Gedanken habt oder eine Theorie, die zum Thema passt, dann macht doch einen unterhaltsamen Beitrag daraus, statt nur passives Gruppenmitglied zu sein.

Mir ist vollkommen klar, dass nicht jedem Zeit bleibt, alle diese Vorschläge zu beherzigen. Insbesondere das regelmäßige Posten wird bei Vollzeitjob, Familie und wenn man noch andere Hobbys hat, schnell problematisch. Andererseits bin ich aber der festen Überzeugung, dass es die fruchtbare Kommunikation in Special-Interest-Gruppen schon wesentlich voranbringt, wenn jeder nur ein paar der genannten Vorschläge beherzigen würde.

Also lasst es uns doch gemeinsam versuchen!

 

Was Themenbezug nicht bedeutet: Elitismus und Ausgrenzung von Neulingen

Nerd-Frau schaut in einen Handspiegel
Viele haben einfach deswegen Probleme, beim Gruppenthema zu bleiben, weil sie selbst ihr Lieblingsthema sind.
Da ich bislang so häufig von Themenrelevanz geschrieben habe, wollte ich zum Abschluss noch einmal klarstellen, was ich mit Themenrelevanz nicht meine: Die Abwertung von anderen Gruppenmitgliedern aufgrund ihres mangelnden Wissens. Denn mindestens genauso tödlich für jede Social-Media-Gruppe (und ebenso wie für jedes Forum) wie ständiges Off-Topic-Geblubber sind arrogante Stamm-Mitglieder, die abschätzig jeden niedermachen, der sich im jeweiligen Themengebiet nicht so gut auskennt wie sie selbst. Das heißt nicht, dass man einen offensichtlichen Irrtum nicht korrigieren sollte. Aber wie so oft macht hier der Ton die Musik. Niemand von uns ist mit einem Weltwissen des Nerdtums geboren worden. Und wenn man die eigene Leidenschaft für ein bestimmtes Themengebiet anderen nahebringen möchte, dann ist es eine denkbar schlechte Taktik, jedem Neuling erstmal dessen absolutes Unwissen unter die Nase zu reiben. Was die Bewertung jener Nerds betrifft, die ihr Hobby nur ausüben, um sich von anderen abgrenzen zu können, schließe ich mich der Haltung Thilo Nemitz‘ des Nerd-Wikis an:
Entschuldigung, aber wer damals seine Hobbys gelebt hat, um was Besonderes zu sein, der ist im Ansatz für mich schon kläglich gescheitert.
Ähnlich verhält es sich für mich mit der Cliquen-Bildung innerhalb von Nerd-Gruppen. Wenn nur noch auserwählte Stamm-Mitglieder eine Antwort wert sind, diese gegenseitig nur ihre eigenen Beiträge kommentieren und liken und jedes Neumitglied ignoriert wird, dann hat man es sich in seiner eigenen kleinen Bestätigungskammer möglicherweise etwas zu bequem gemacht. Jede Gruppe braucht auch mal frisches Blut (und nein, Horror-Fans sollten das nicht wortwörtlich verstehen), andernfalls behandeln Diskussionen irgendwann immer nur die selben alten Themen.

 

Und Gespräche über unsere liebsten Nerd-Themen sind sicherlich unterhaltsam, aber sie brauchen auch neue Impulse, um sich nicht ewig im Kreis zu drehen.






Bildnachweise

Die eingebetteten Bilder der erstaunlich leichtbeschürzten Frauen (ein Rechtsklick und dann „Bild in neuem Tab öffnen, führt zur Quelle) entstammen (von links nach rechts): dem Cover zum DSA-Rollenspielabenteuer Findet das Schwert der Göttin„, gezeichnet von Uğurcan Yüce, einer Werbeanzeige zum MMORPG League of Angels“, dem DVD-Cover zum Film „The Unborn“ (2009).



Autor: Marius Tahira

Blogger und hauptsächlich Verantwortlicher der Website marius-tahira.de, auf der er sich den Genres Horror, Dystopie und Thriller widmet. Nach einer Verlagsausbildung und seinem Germanistikstudium war er lange Zeit im Lektorat tätig und arbeitet nun im Bereich der Suchmaschinenoptimierung.

1 Gedanke zu “Schutzräume für Nerds: Plädoyer für einen stärkeren Themenbezug in Special-Interest-Gruppen

  1. Hallo, Nerd!

    Ich denke, ich darf dich so nennen, weil du in deinem Hobby, deine Gedanken und Einstellungen übers Internet zu verbreiten, sehr rege bist – in diesem Beitrag, den ich mit wachsendem Vergnügen verschlungen habe. Du hast die heutige Welt mit ihren Möglichkeiten und ihrem sozialen Liebreiz passend beschrieben, und in vielen Zeilen finde ich mich wieder – oder eben meine enttäuschten Erwartungen. Meine eigene Überheblichkeit – heute eigentlich nur noch über Küchentischautoren, die mit unausgegorenen Werken im Stil eines Schulaufsatzes eine Leserschaft, die über die Geburtstagsgesellschaft Tante Ilses hinausgeht – trete ich nicht öffentlich breit. Denn „Wie man sich bettet, so schallt es heraus.“ (Ups! – ein Altherrenwitz. Es soll aber der einzige bleiben.). Dennoch oder gerade deshalb bewege ich mich in sozialen Netzwerken nur noch behutsam. In Facebook etwa bin ich in den Autorengruppen eine Karteileiche, denn wenn ich nach einer halben Stunde in zehn Gruppen einen herzlich und informativ gemeinten Post eingestellt habe und am nächsten Morgen lesen muss „Lieschen Müller und Hans Meier und 169 weitere Personen haben einen Beitrag gepostet“, weiß ich um die Vergeblichkeit meiner eigenen Präsenz: Mein Beitrag ist beim Drücken des Senden-Buttons schon unten aus dem Bildschirm gerutscht, und niemand scrollt. Ich auch nicht. Außerdem will ja jedes Gruppenmitglied trotz des Versprechens der Administratoren, Autoren und Leser zusammenzubringen, nur seine eigenen Werke anpreisen und interessiert sich nicht für die der anderen. Außerdem ist ein Drittel meiner Follower ein Freund oder Verwandter, mit dem ich lieber persönlich rede, ein weiteres Drittel sind Spanier, denen meine auf Deutsch geschriebenen Bücher gleichgültig sind, und das letzte Drittel sind Autoren, die genau wie ich … Lobhudelei und Besserwisserei kenne ich von Autorengruppen, bei denen die Kurzgeschichten der übrigen Foristen bemäkelt werden, man selbst aber keine Kritik verträgt. Gut, das sind die wenigsten, aber sie sind nicht zu übersehen und prägen das Bild des Forums zusammen mit den Schmeichlern. Und das von dir angesrpochene Frauenbild in meinen Romanen? Den Blondinenwitzen zum Trotz so, wie ich Frauen im Beruf kennengelernt habe: interessiert, zielstrebig und kompetent. Natürlich stärker gefühlsbetont als wir Männer. So zumindest in meiner Krimireihe. Meinen Fantasyroman habe ich gerade umgeschrieben und das gemischte Heldenpaar durch zwei attraktive dreißigjährige Frauen ersetzt. Nicht, weil ich Spanner wäre oder Chauvinist, sondern weil von einer solchen Beziehung eine starke Ästhetik ausgeht. Bei dieser Überzeugung bin ich Nerd.

    Beste Grüße
    Michael Kothe, Autor

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