Gespenster in Horrorgeschichten – Teil 1

Weiblicher Geist wie aus einer Horrorgeschichte mit scharfen Krallen

Geister als Symbol für die Unausweichlichkeit des Todes

Neben Vampiren, Werwölfen und Dämonen gehören sie zu den klassischen Figuren des Horrorgenres: Die Rede ist von Gespenstern. Wie kaum eine andere Figur symbolisieren sie die Angst des Menschen vor dem Tod. Denn schließlich rüttelt das Wirken rachedürstender Totengeister ganz gewaltig an der Überzeugung, dass die Menschen im Jenseits Erlösung erfahren.

Und so verwundert es kaum, dass der erste „Gespenster-Boom“ in einem Zeitalter aufkam, in der auch die ersten Abhandlungen zur Gotteskritik entstanden. Seitdem gab es immer wieder Phasen, in denen Gespenster in Literatur oder Film Hochkonjunktur hatten. So beispielsweise Anfang der 2000er-Jahre, als japanische Rachegeister in zahlreichen Filmen das Kinopublikum in Angst und Schrecken versetzten. Doch diese Gespenster unterscheiden sich stark von den Geistern in mittelalterlichen Sagen oder in den frühen Schauerromanen des 18. Jahrhunderts. Aber gibt es dennoch Gemeinsamkeiten bei der Darstellung von Gespenstern? Und was sind typische Elemente einer Gespenstergeschichte?

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Info: Der Unterschied zwischen Geist und Gespenst

Geht es um Horrorgeschichten, dann wird der Begriff „Geist“ meist als Synonym für „Gespenst“ verwendet. Tatsächlich ist der Begriff „Geist“ allerdings weiter gefasst als der Begriff „Gespenst“. Er bezieht sich allgemein auf das Bewusstsein denkender Kreaturen. Das muss aber nicht zwangsläufig das Bewusstsein eines Verstorbenen sein. Das zeigt schon der allgemeine Sprachgebrauch: Ich kann beispielsweise etwas „geistig erfassen“, ohne dafür ein Gespenst sein zu müssen. Und auch im Bereich des Übernatürlichen bezieht sich der Ausdruck „Geist“ nicht nur auf das wirkende Bewusstsein Verstorbener. Vielmehr umfasst er den Heiligen Geist der Bibel ebenso wie zahlreiche Elementargeister (Gnome, Wassergeister, Bergmännchen). Der Begriff „Gespenst“ ist hingegen enger gefasst und bezieht sich ausschließlich auf Totengeister.

Wenn also im Folgenden von Geistern gesprochen wird, ist damit immer das Gespenst als Totengeist gemeint, kein Naturgeist oder ähnliches.

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Das Gespenst als unheilbringender Totengeist: Eine Begriffsgeschichte

Das wichtigste Merkmal eines Gespensts wurde bereits genannt: Es ist ein Totengeist. Es handelt sich also um das weiterexistierende Bewusstsein eines Verstorbenen – beziehungsweise je nach Deutung um dessen Seele. Daraus ergibt sich ein weiteres Merkmal von Gespenstern: Ihr Dasein zwischen den Welten. Sie sind weder der materiellen Welt der Lebenden vollkommen zugehörig noch auf die Welt der Toten beschränkt. Das unterscheidet sie beispielsweise von bereits erlösten Geistern, die eben nicht in der stofflichen Welt herumspuken.

Über die genaue Bedeutung der Worte Gespenst und Spuk lässt sich noch ein Kennzeichen dieser Totengeister ableiten. Das Gespenst kommuniziert – nicht unbedingt durch verbale Äußerungen, aber es weckt zumindest aktiv die Aufmerksamkeit der Menschen.

Das hochdeutsche Wort „Spuk“ hat sich aus dem niederdeutschen „spōk“ bzw. „spūk“ entwickelt. Im Dänischen (spøg) sowie der niederländischen und englischen Sprache (in beiden spook) gibt es Worte ähnlicher Bedeutung. Als Spuk bezeichnet man unheimliche und nicht wissenschaftlich erklärbare Phänomene. Die genaue Ursprungsbedeutung ist nicht vollends geklärt, ähnlich lautende Begriffe anderer Sprachen haben jedoch mit den Themenbereichen Strahlen, Funken oder Scheinen zu tun. Das könnte damit zusammenhängen, dass rätselhafte Lichterscheinungen damals häufig Geistern zugesprochen wurden.

Genauer belegt sind hingegen Ursprung und Bedeutung des Wortes „Gespenst“. Dieser Begriff leitet sich vom althochdeutschen Verb „spanan“ ab, was so viel wie „verführen“ oder „verlocken“ heißt. Im Mittelhochdeutschen nannte man geisterhafte Erscheinungen noch „Gespanst“, später entwickelte sich daraus unser „Gespenst“.1Siehe hierzu Monika Schmitz-Ehmanns: Gespenstische Rede. In Moritz Baßler, Bettina Gruber und Martina Wagner-Engelhaaf (Hrsg.): Gespenster. Erscheinungen, Medien, Theorien. Würzburg. 2005. S. 229.

Das Verlocken ist hierbei jedoch keineswegs sexuell gemeint – vielmehr geht es um das Weglocken des Menschen vom richtigen Weg hin zu seinem Untergang. Ein ganz konkretes Beispiel dafür sind Irrlichter: In der Schauerliteratur und im Volksglauben nannte man so unter anderem die Seelen unglücklich Verstorbener, die sich in der materiellen Welt als Leuchterscheinungen manifestierten. Wanderer, die diesem Leuchten in Sumpfgebieten folgen, kommen vom Weg ab und drohen, im Morast zu versinken. Doch nicht alle Gespenster bringen ihre Opfer im wortwörtlichen Sinne vom rechten Weg ab. Sie wirken jedoch immer im negativen Sinne auf bestimmte Menschen ein, sodass diese von ihrem geplanten Lebensweg abweichen. Oder im schlimmsten Fall wird ihr Lebensweg durch den Geist einfach beendet.

Formlosigkeit und Vielgestalt von Gespenstern in Literatur und Film

Was die wahrnehmbare Gestalt von Gespenstern in unserer Welt betrifft, lassen sich die gemeinsamen Merkmale nur schwer fassen. Während der Werwolf stets mehr oder weniger stark ausgeprägt die Züge des namensgebenden Wolfes zeigt, treten Totengeister in mannigfaltiger Gestalt in Filmen und Romanen in Erscheinung. Einige sind unsichtbar, andere wirken schemenhaft oder durchscheinend, wieder andere besitzen einen physischen Körper oder können sich zumindest physische Gestalt geben. Und während einige etwas Leichenhaftes ausstrahlen (Blasse Haut, Spuren von Verletzungen und Verwesung), sind andere optisch kaum von lebenden Menschen zu unterscheiden. Vielfach scheinen Geister auch nicht an ihre jeweilige Form gebunden zu sein: So können sie vor einem Menschen als geisterhafter Umriss auftauchen, um sich direkt danach in Nebel oder Rauch aufzulösen.

Darüber hinaus gibt es auch Gespenster in Tiergestalt. So erzählen in Großbritannien zahlreiche Sagen von riesigen schwarzen Geisterhunden. Eine der bis heute bekanntesten Erzählungen, die den Glauben an solche Kreaturen aufgreift, ist der Sherlock-Homes-Roman „Der Hund der Baskervilles“.

In der englischen Grafschaft Devon erzählte man sich lange Zeit Geschichten von den sogenannten Yeth Hounds. Schwarze Geisterhunde, die aus den verdammten Seelen ungetauft verstorbener Säuglinge entstanden waren. Aus ihren knöchernen Schnauzen dringt kein Bellen hervor, sondern kreischen schmerzerfüllte Kinderschreie.

Der Film Poltergeist aus dem Jahr 1982 zeigt gleich zwei Ausformungen von Gespenstern, die weit vom klassischen Bild des durchscheinenden fahlen Totengeistes entfernt ist. Dort fährt ein Geist in einen Baum, der daraufhin mit seinen Ästen den ältesten Sohn der Familie Freeling attackiert. Im selben Film besetzen Geister den Fernseher der Familie und nehmen über diesen Kontakt zur Welt der Lebenden auf. Es ist auffällig, dass sich seit den 1980er-Jahren Gespenster in Horrorgeschichten zunehmend auch in elektronischen Gerätschaften oder digitalen Medien manifestieren. Das populärste Beispiel dafür dürfte wohl Samara aus „The Ring“ sein (bzw. im japanischen Original Sadako), deren Fluch über das Anschauen eines Videofilms übertragen wird. In der Romanfortsetzung „The Spiral“ manifestiert sich der Wille der toten Sadako sogar über einen DNA-verändernden Virus in der stofflichen Welt.

All diese Beispiele verdeutlichen, dass das Gespenst sich durch eine sehr viel größere Vielgestaltigkeit auszeichnet als andere Horrorfiguren. Dadurch fällt es schwer, ein hinsichtlich ihrer Gestalt gemeinsames Merkmal zu finden. Und doch gibt es ein gemeinsames Kennzeichen: die Verbindung zum Tod. Diese zeigt sich nicht in allen, aber doch in sehr vielen Horrorgeschichten auch in der wahrnehmbaren Gestalt des Geistes.

Zeichen des Todes: Typische Merkmale von Gespenstern

Trotz ihrer Vielgestaltigkeit haben die meisten Gespenster in der Horrorliteratur eines gemeinsam: Sie zeigen entweder selbst deutlich Kennzeichen des Todes oder sie erscheinen an Orten oder mit Begleitern, die man mit dem Tod assoziiert. In seiner Untersuchung der Gespenstergeschichten des frühen 19. Jahrhundert arbeitet Hans Richard Brittnacher heraus, dass viele Schriftsteller bereits durch ihre Wortwahl eine solche Verbindung herstellen. In der wohl berühmtesten Grusel-Anthologie des 19. Jahrhunderts, dem Gespensterbuch, herrscht beim Auftauchen der Geister „Grabesruhe“, „Todesstille“, „Friedhofruhe“ oder „Sterbensangst“.2Vgl. hierzu Hans Richard Brittnacher: Ästhetik des Horrors. Frankfurt am Main: 1994. S.48. f.

Viele Merkmale der Gespenster in diesen frühen Geistergeschichten kennzeichnen auch die Totengeister aktueller Horrorproduktionen:

  • Der Spuk findet oft an Orten statt, die mit dem Tod assoziiert werden: Friedhöfe, Grüfte und Verliese, aber auch Schlachtfelder oder Ritterburgen mit gewaltgeprägter Vergangenheit. Ein Motiv, dass in der Schauerromantik des 19. Jahrhunderts ebenso aufgegriffen wird wie in Filmen wie Poltergeist, in dem das Spukhaus auf einem Indianerfriedhof errichtet wurde.
  • Sobald die Gespenster sichtbar in Erscheinung treten, weisen sie meist Merkmale des Todes oder schwindender Lebenskraft auf: Mal sind sie totenblass oder durchscheinend flüchtig, als ob sie direkt aus der materiellen Welt scheiden würden, mal sehen sie aus wie Leichname oder Skelette.
  • Akustisch ist ein tiefes Ächzen oder Klagen ebenso üblich wie ein kaum vernehmbares Seufzen. Die Nähe zu Todeslauten ist typisch. Der Schriftsteller Johann Heinrich Jung-Stilling schreibt 1808 in „Der Richter und das Gespenst” dem Geist einen „kalten modrigen Atem3Johann Heinrich Jung Stilling: Der Richter und das Gespenst. In: Spukgeschichten. Hrsg. v. Martin Federspiel. Berlin. 1985. S. 15. zu – und fast 200 Jahre später kriechen im Film „The Grudge” aus der Kehle des Geistes Kayako unheimliche Knackgeräusche empor, die an ihren Tod erinnern. Ihr Mann hatte sie am Hals gepackt, gewürgt und ihr schließlich das Genick gebrochen.
  • Tiere, die man im Mittelalter oder der frühen Neuzeit mit dem Tod, der Nacht oder finsterer Magie assoziiert hat, treiben sich häufig in der Nähe von Spukorten herum. In Gespenstergeschichten treten Eulen, Fledermäuse, Raben und schwarze Katzen oft als Vorboten oder Begleiter des Geistes auf.

Die oben genannten Merkmale treffen auf viele, jedoch keineswegs auf alle Gespenster zu. Allerdings bezieht sich obige Liste auch nur auf Totengeister, wie sie in klassischen Schauergeschichten oder Horrorfilmen dargestellt werden. In Filmen, die sich eher dem Mystery-Bereich zuordnen lassen, werden solche Zeichen des Todes oft sparsamer eingesetzt oder es wird ganz auf sie verzichtet.

Ein Vergleich der Gespenstererscheinungen in The Grudge, Crimson Peak und Poltergeist
Während der Geist Kayakos in The Grudge die meiste Zeit in einem physisch fassbaren Körper erscheint, wirkt Thomas Shapes Geist in Crimson Peak durchscheinend und flüchtig. Und auch das unmenschlich anmutende Gespenst in Poltergeist wirkt immateriell. Ihnen allen ist jedoch gemeinsam, dass sie Zeichen des Todes zeigen: Sei es durch Leichenblässe, durch sichtbare Verletzungen oder wie im letzten Bild durch eine Fratze, die einem Totenschädel gleicht. (Bildrechte: The Grudge © Columbia Pictures, Crimson Peak © Universal Pictures, Poltergeist, © Warner Home Video)

 

Mit dem Zeitalter der Aufklärung beginnt ein Boom der Geistergeschichten

Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhundert beginnt in Europa eine Entwicklung, die man als Epoche der Aufklärung bezeichnet. Zahlreiche Schriftsteller und Philosophen singen das Hohelied der Vernunft: Rationalität und sorgfältige Überlegungen sollen das Handeln des Menschen lenken. Als Leitspruch dieses Zeitalters könnte man den wohl berühmtesten Satz des Philosophen Kant ansehen: „Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Die Gesellschaft soll Aberglaube und Vorurteile abschütteln und durch wohlbegründete Entscheidungen den menschlichen Fortschritt voranbringen. So jedenfalls die Theorie …

Doch gerade zu dieser Zeit, die sich der Befreiung vom Aberglauben verschrieben hat, haben Gespenstergeschichten Hochkonjunktur. Erzählungen über Geistererscheinungen, okkulte Zirkel und dunkle Magie überschwemmen den Markt. Es gibt Tausende von Veröffentlichungen zu diesen Themen. Den größten Boom erlebt die Gespenstergeschichte gegen Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhundert. Also in der Spätaufklärung und zur Zeit der Romantik.

Wie kommt es zu diesem Widerspruch? Die Aufklärer fordern ein Ende des Aberglaubens und die Leser reagieren darauf, in dem sie Romane über Dämonenbeschwörungen und Geheimbünde lesen und nach Spukgeschichten gieren.

Ein möglicher Grund: Die Aufklärung kritisiert alte Deutungsmuster, ohne jedoch neue bieten zu können. Der Alleingültigkeitsanspruch einzelner Religion wird hinterfragt, der Glaube an Feen und Geister als Unsinn abgetan. Doch die tatsächlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse der frühen Aufklärung hinken dem Anspruch der Aufklärer hinterher: Naturphänomene solle man nicht länger nur auf göttliches Wirken oder Magie zurückführen, aber die Wissenschaft kann vielerorts auch noch keine Erklärung dafür bieten. Eine flächendeckende Elektrifizierung findet erst Ende des 19. Jahrhunderts statt, aber schon im 18. Jahrhundert erwarten die Aufklärer, dass das einfache Volk hinter Blitzeinschlägen kein übernatürliches Phänomen vermuten.

Das Interesse am Übernatürlichen kann man praktisch als Gegenreaktion zur Aufklärung verstehen: Das Gespenst wird Sinnbild des Unerforschbaren und Geistergeschichten erreichen ein Massenpublikum. Populärstes Beispiel: Das bereits erwähnte „Gespensterbuch“. Diese Anthologie wurde in den Jahren 1811 bis 1818 in mehreren Bänden veröffentlicht und enthält zahlreiche Gespenstergeschichten der Schriftsteller August Apel, Friedrich August Schulze und Friedrich de la Motte Foqué. Den Autoren geht es dabei nicht länger darum, im Sinne der Aufklärung die Existenz von Geistern zu erörtern. Vielmehr möchten sie ihr Lesepublikum durch möglichst schaurige Geschichten unterhalten. Einige Geschichten des „Gespensterbuchs” wurden auch ins Englische übersetzt und dadurch international bekannt. Sie inspirierten unter anderem die Schriftsteller Lord Byron, Percy Bysshe Shelley, Mary Shelley und Dr. William Polidori dazu, eigene Gruselgeschichten niederzuschreiben. Bei einem Treffen dieser Autoren entstand so die Idee zu einem der größten Klassiker des Horrorgenres: Mary Shelleys Frankenstein“.

Die Villa Diodati, in der die Idee zum Roman "Frankenstein" entstand.
Die Villa Diodati, in der Mary Godwin 1818 mit ihrem späteren Ehemann Percy Bysshe Shelley im Sommer Lord Byron und dessen Arzt John John Polidori besucht hatte. Inspiriert von den deutschen Schauermärchen schrieben Gäste und Gastgeber an eigenen Gruselgeschichten. Auf diese Weise entstand dort unter anderem der Roman „Frankenstein”.

In gewisser Hinsicht ist die Aufklärung somit auch das Entstehungszeitalter der Horrorliteratur. Denn Horrorgeschichten zeichnen sich zwar auch dadurch aus, dass sie Ängste erzeugen oder darstellen, aber sie enthalten darüber hinaus auch stets einen Aspekt des Unerklärlichen (Mehr dazu im Artikel Was ist Horror). Zwar gab es bereits zuvor Gespenstergeschichten, doch handelt es sich hierbei nicht um Horrorgeschichten im eigentlichen Sinne. Denn vor dem 18. Jahrhundert waren zahlreiche Menschen von der Existenz von Geistern noch fest überzeugt. Geisterhafte Phänomene erschienen den Menschen allerdings nicht unerklärlich, weil die Religion oder der Volksglaube Erklärungen dafür lieferten. Erst mit der Aufklärung verloren die alten Erklärungen an Glaubwürdigkeit. Zudem konzentrierten sich die frühen Gespenstergeschichten selten auf das Erzeugen von Angst. Vielmehr ging es in ihnen wie in den alten Märchen oft um die Vermittlung einer Moral: Wer Böses tut, wird im Jenseits dafür bestraft.

Den reinen Nützlichkeitsgedanken, der in der Aufklärung von vielen Bürgern gepflegt wird, lehnen die Schriftsteller der Romantik ab. Ihnen fehlt das Mystische, Sehnsuchtsvolle in der Literatur. Und so sehnen sich nicht wenige nach einer Vergangenheit, in der alte Mythen noch ihren Platz hatten. Ein bisschen kann man sich das vorstellen wie die horrorlesenden Jugendlichen der Gegenwart, denen die Eltern regelmäßig sagen, dass sie ihre Zeit doch lieber für Vernünftiges” verwenden sollten. Damit später auch mal was Ordentliches aus ihnen wird. Das funktioniert heute nicht und das hat schon damals nicht funktioniert: Die aufgeklärten Bürger mochten noch so sehr auf Gespenster als Aberglauben schimpfen – in den deutschen Schauermärchen der Schwarzen Romantik und den englischen Gothic Novels” erzählt die junge Schriftstellergeneration von Totengeistern, alten Legenden und mittelalterlichen Burgen. Das Gespenst erscheint in ihren Erzählungen als übersinnlicher Bote einer anderen Welt, die Angst einflößt, aber gleichzeitig auch fasziniert.

Begegnung mit dem Gespenst: Konfrontation mit der Sterblichkeit

Hans Richard Brittnacher betont in seinem wegweisenden Buch Die Ästhetik des Horrors“, dass es aber keinesfalls die Unerklärlichkeit ist, die das Gespenst so angsteinflößend machen. Es sei vielmehr die Angst vor einem Leben, auf dem der Schatten des Todes liegt44. Hans Richard Brittnacher: Ästhetik des Horrors. S. 50 f.. Durch seine Gestalt erinnert das Gespenst den Menschen zwangsläufig an die eigene Sterblichkeit – ja oft bringt es sogar selbst dem Tod. Die Geister rächen jedwedes Vergehen aufs Schwerste; die Größe der Schuld spielt dabei kaum eine Rolle. Und hat ein solcher Geist es erst einmal auf ein bestimmtes Opfer abgesehen, ist desses düsteres Schicksal in den meisten Fällen besiegelt. Das gilt für die Schauerromane der Romantik ebenso wie für viele aktuellere Gespenstergeschichten.

In Heinrich von Kleists 1810 veröffentlichter Geschichte Das Bettelweib von Lorcano” gewährt eine Marquise einer Bettlerin Unterkunft im Schloss ihres Mannes. Der Marquis befiehlt der Bettlerin hinter den Ofen zu kommen, auf den Weg dorthin stürzt die Bettlerin allerdings so schwer, dass sie den Weg nur mit Mühe schafft und hinterm Ofen letztlich stirbt. Auch wenn man das Verhalten des Adligen kritisch hinterfragen kann, war mit dem Tod der Bettlerin sicher nicht zu rechnen. Dem Marquis kann man also allenfalls ein rüdes Verhalten, nicht aber Mordabsichten unterstellen. Dennoch ist sein Untergang besiegelt, als er Jahre später dem Geist der Bettlerin wiederbegegnet. Er stirbt schließlich in den Flammen seines eigenen Schlosses. Im Gespensterbuch” kündigen die Geister in vielen Geschichten den Tod ganzer Dynastien oder von Freunden und Ehepartnern des Bedrohten an. Und das, obwohl diese selbst keinerlei Schuld auf sich geladen haben.

Hier spiegelt sich die Erfahrung des vernunftbegabten Bürgers wider, der erkennen muss, dass das Unglück keine Gerechtigkeit kennt. Der Tod kann jeden schon aufgrund geringster Fehler ereilen. Zur Zeit der Aufklärung wussten die Menschen längst, dass die Erde nicht das Zentrum des Kosmos ist. Einzelne Philosophen zweifeln die Lehren der Kirche an, in der nachfolgenden Epoche der Romantik äußerte der Philosoph Feuerbach:

„Der Tod ist […] die ganze, die vollständige Auflösung deines ganzen und vollständigen Seins.“55. Ludwig Feuerbach: Gesammelte Werke. Bd. 1. Hrsg. v. Werner Schuffenhauer. Berlin: 1967. S. 207.

Strenggenommen würde Feuerbachs Ausspruch bedeuten, dass es demnach auch keine Gespenster geben kann. Doch als literarische Figuren symbolisieren sie die Angst vor einem Tod, auf den keine Erlösung folgt, in einer Welt, in der es keine Gerechtigkeit gibt. Das Konzept des Geistes als unaufhaltsamen Todesboten ist dabei keineswegs auf die frühe Schauerliteratur beschränkt, sondern bis heute Bestandteil vieler Horrorgeschichten.

In vielen Gespenstergeschichten findet eine unfreiwillige Annäherung der Protagonisten an den Geist statt. Vor Schreck werden sie ebenso bleich wie der Geist, verstummen oder sie scheiden aus dem Leben.

Die Angleichung des Opfers an den Totengeist 

Auffällig ist, dass viele Protagonisten in Horror-Romanen und Filmen sich mit der Zeit oder in der direkten Begegnung mit einem Gespenst diesem angleichen. Sie zeigen früher oder später also selbst Merkmale des Todes oder des Verfalls. In den Schauergeschichten des 19. Jahrhunderts erstarren die Menschen häufig angesichts eines Totengeistes. Oder sie schreien, verstummen oder fallen in Ohnmacht. In Johann August Apels „Die Verwandtschaft mit der Geisterwelt” zeigt eine junge Frau nach dem Kontakt mit einem Gespenst deutlich leichenhafte Züge:

„[Sie war] vollkommen anders geworden, ihre gewöhnliche Blässe in eine todtähnliche Bleichheit und die Rosenfarbe ihrer Lippen in ein unscheinbares Blau übergegangen.”6Johann August Apel: Die Verwandtschaft mit der Geisterwelt. In : Johann August Apel, Friedrich Laun (Hg.): Das Gespensterbuch. Stuttgart 1890. S. 140.

Sinnvolle Fluchtreaktionen werden hingegen selten beschrieben. Das hängt allerdings auch mit einer anderen Eigenschaft vieler Geister in Horrorgeschichten zusammen: der Unausweichlichkeit ihres Schreckens! Gespenster sind in den meisten Erzählungen nicht direkt physisch angreifbar, nicht an die materielle Welt gebunden, ermüden nicht und können häufig sogar ihre Form ändern. Eine Flucht bringt insofern keine Rettung vor dem Tod, sondern schiebt ihn nur auf. Das unterscheidet sie von anderen Horrorfiguren wie Werwölfen, Vampiren oder Zombies. Trotz ihrer teilweise körperlichen Überlegenheit sind letztgenannte Kreaturen an die stoffliche Welt gebunden, können sich nur in dieser bewegen und lassen sich durch (bestimmte) Waffen verletzen. Hat sich ein Totengeist jemanden zum Opfer erkoren, erscheint dessen Ende hingegen unausweichlich (in „The Ring” wird diese Überlegenheit und Unausweichlichkeit des Geistes auf die Spitze getrieben. Dort erfahren die Opfer vorab, dass sie nur noch genau eine Woche zu leben haben). 

In einigen Geschichten geht die Annäherung an das Gespenst sogar so weit, dass die Protagonisten selbst zu Gespenstern werden (bspw. im Film „Candyman’s Fluch“) oder sie beeinflusst von Gespenstern in deren Sinne handeln (im Roman „Shining” sowie in dessen Verfilmung).

Die physische Annäherung an das Gespenst und das Versagen des Körpers bzw. des eigenen Geistes spiegelt gleich mehrere Urängste des Menschen wider: Die vor absoluten Kontrollverlust und die Angst vorm eigenen Tod. Gespenster als Roman- oder Filmfiguren greifen genau diese beiden Urängste auf. Hinzu kommt noch die Angst vor dem Unbekannten, da die Totengeister sich keiner uns bekannten Welt zuordnen lassen.

Und so verwundert es nicht, dass Gespenster bis heute einen festen Platz im Horrorgenre haben, in dem Ängste das kennzeichnende Element sind. Die Urängste, die sie verkörpern, sind dabei über die Jahrhunderte dieselben geblieben. Geändert haben sich in erster Linie die Wirkungsstätten der Gespenster. In den neueren Horrorerzählungen suchen sie ihre Opfer nicht mehr länger nur auf Friedhöfen und in alten Schlössern heim, sondern ebenso in der Anonymität moderner Großstädte.



 

Literaturverzeichnis

  • Apel, Johann August: Die Verwandtschaft mit der Geisterwelt. In : Johann August Apel, Friedrich Laun (Hg.): Das Gespensterbuch. Stuttgart 1890. S. 140
  • Brittnacher, Hans Richard: Ästhetik des Horrors. Frankfurt am Main: 1994.
  • Feuerbach, Ludwig: Gesammelte Werke. Bd. 1. Hrsg. v. Werner Schuffenhauer. Berlin: 1967.
  • Jung-Stilling, Johann Heinrich : Der Richter und das Gespenst. In: Spukgeschichten. Hrsg. v. Martin Federspiel. Berlin. 1985. S. 13 bis 16.
  • Schmitz-Ehmanns, Monika: Gespenstische Rede. In Moritz Baßler, Bettina Gruber und Martina Wagner-Engelhaaf (Hrsg.): Gespenster. Erscheinungen, Medien, Theorien. Würzburg. 2005.

Bildnachweise



Autor: Marius Tahira

Blogger und hauptsächlich Verantwortlicher der Website marius-tahira.de, auf der er sich den Genres Horror, Dystopie und Thriller widmet. Nach einer Verlagsausbildung und seinem Germanistikstudium war er lange Zeit im Lektorat tätig und arbeitet nun im Bereich der Suchmaschinenoptimierung.

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