Filmkritik zu Gary Shores „The Queen Mary“

Luxusliner The Queen Mary, der über das Meer fährt während blutfarbener Rauch aus seinen Schornsteinen steigt.

Gary Shores Horrorfilm The Queen Mary kann mit Kostümen und Ausstattung ebenso überzeugen wie mit aufwändigen Kamerafahrten durch das namensgebende Passagierschiff. Ein überfrachtetes, klischeebeladenes Drehbuch, mangelnde Charakterzeichnung und eine bis auf einige unpassende Ausbrüche –  einfallslose Inszenierung lassen den Film allerdings absaufen.

Wollte man es kurz machen, könnte man die Filmkritik zu The Queen Mary folgendermaßen zusammenfassen: Man nehme Shining, verlege die Handlung auf ein Schiff statt in ein Hotel, werfe dann die Charakterzeichnung über Bord und füge stattdessen ein Dutzend Klischees und mehrere Zeitebenen hinzu. Dann lasse man das Ganze auf einen Twist hinsteuern, mit dem garantiert niemand gerechnet hat – aber nur, weil er irgendwo zwischen totaler Belanglosigkeit und hanebüchenem Unsinn dahinplätschert. Oder den niemand versteht, weil der Film sich viel Mühe gibt, seine öde Grundidee hinter einer verworrenen Erzählweise zu verstecken.

Man hätte die innovationsfreie, aber brauchbare Grundidee des Films nehmen und daraus mit einer packenden Inszenierung einen grundsoliden Film machen können. Zwar kein Meisterwerk, aber einen Film, der unterhält. Der tatsächliche Film wirkt hingegen so, als hätten die Macher berauscht von ihren Ideen immer mehr ins Drehbuch gepackt, ohne Rücksicht, ob die Einzelteile zusammenpassen. Und am Schluss schufen sie ein zwei Stunden andauerndes Konstrukt der Langeweile.

The Queen Mary und das Grauen auf mehreren Zeitebenen

Der Film erzählt die Geschichten zweier Familien: Die von Familie Ratch, die im Jahr 1938 mit der Queen Mary reist, und in der Gegenwart die der Fotografin und Autorin Anne Calder (Alice Eve). Diese besucht mit ihrem Noch-Eheman Patrick (Joel Fry) und ihrem Sohn Lukas (Lenny Rush) das titelgebende Schiff. Dass diese Geschichten am Ende irgendwie miteinander zusammenhängen, dürfte kaum jemanden überraschen.

Die Ratch sind arme Varietékünstler, die sich nur eine Reise in der dritten Klasse des Schiffes leisten können. Doch dies genügt den Ansprüchen des ehrgeizigen David Ratch (Wil Coban) nicht. Zu Beginn erleben wir, wie David sich mit seiner Frau Gwen (Nell Hudson) und seiner Tochter Jackie (Florrie May Wilkinson) Zutritt zu einer Halloween-Party für die High Society erschwindelt.

Als die Familie dort einen berühmten Hollywood-Produzenten erblickt, bittet Jackie ihren Vater, diesen auf sich aufmerksam machen zu dürfen. Denn die Tochter ist eine begabte Stepptänzerin und der Produzent hat bereits mit Musical-Größen wie Fred Astaire gedreht. Doch der Schwindel fliegt auf und die Eltern werden aus der ersten Klasse herausgeworfen (doch weil die Handlung es so braucht, lässt man die Tochter unbeaufsichtigt und allein auf der Party zurück). Ihr Vater benimmt sich nach dem Rauswurf zunehmend merkwürdig. Währenddessen bricht von den Passagieren unbemerkt das Schiff allmählich auseinander, da der Captain trotz technischer Defekte das Fahrttempo nicht drosselt. Er will mit der Queen Mary unbedingt den Rekord für das schnellste Passagierschiff brechen.

In der Gegenwart ist die Queen Mary nur noch eine im Hafen liegende Touristenattraktion. Anne Calder möchte die mysteriöse Vergangenheit des Schiffes in einem Buch verewigen und reist daher mit ihrem spukinteressierten Sohn Lukas zum Dock. Dort trifft sie ihren Mann Patrick. Vor Ort möchte Anne dem auffällig dubios erscheinendem Kapitän Bittner (Dorian Lough in der wohl undankbarsten Rolle des Films) ihr Buchkonzept samt Vermarktungsideen vorstellen. Derweil nimmt Vater Patrick zusammen mit Sohn Lukas an einer Führung durchs Schiff teil. Dabei verliert der Sohn den Anschluss an die Gruppe, irrt durch die Gänge des Schiffsbauchs und trifft auf eine geisterhafte Erscheinung.

 

Bild der echten Queen Mary
Der Film greift die Geschichte der echten Queen Mary auf, die von 1936 bis 1967 als Passagierschiff im Einsatz war. Diese konnte 1936 den Rekord für die schnellste Überfahrt von Europa nach Amerika brechen. Und Legenden zufolge spukten damals auf dem Schiff der Geist eines ertrunkenen Mädchens sowie ein verunglückter Seemann herum.

 

Überfrachtetes Schiff mit Klischees als Ladung

Allein dieser Abriss zeigt, dass The Queen Mary ein Dutzend Plot Hooks für dramatische Konflikte bietet. Letztlich zu viel für einen einzelnen Film. Insbesondere, da die Drehbuchautoren versäumt haben, einen Schwerpunkt zu setzen. Das führt zum seltsamen Widerspruch, dass sich der Film einerseits viel zu lang anfühlt, andererseits aber Zeit für eine vertiefende Figurendarstellung fehlt. Die Handlung ergibt sich nur in Ausnahmefällen durch nachvollziehbare Entscheidungen; stattdessen verhalten sich Protagonisten und Antagonisten wie blasse Abziehbilder hundertfach gesehener Horrorfilmklischees. So gibt es unter anderem:

  • ein seltsames Kind das natürlich vor den Erwachsenen auf geisterhafte Erscheinungen stößt.
  • die Hauptfiguren als dysfunktionale Paar, das trotz mysteriösen Spuks auch noch seine Beziehungsprobleme klären muss.
  • den vom Leben gestraften Mann, der nach Aufgabe seiner Hoffnungen plötzlich zum Axtmörder mutiert.
  • den schmierigen Typen, der irgendwie mit den Drahtziehern/dunklen Kräften hinter allem verbunden ist.
  • den ehrgeizigen Entscheidungsträger, der alle Mahnungen ignoriert, weil der Strand trotz Haiattacke geöffnet … (ach nein, das war ein anderer Film)… , weil das Schiff Rekorde brechen muss.

Wobei gegen solche Figuren nichts einzuwenden ist, wenn sie vereinzelt auftauchen oder man im Verlaufe des Filmes mehr über sie erfährt. Aber genau das passiert eben nicht. Und das ist insofern traurig, dass Queen Mary eine recht solide Schauspielerriege versammelt. Deren Potenzial lässt sich aber kaum abschätzen, da ihre Figuren so eindimensional geschrieben sind.

 

Filmkritik The Queen Mary: Darsteller Will Coban mit Axt und Maske
Will Cobin gehört zu den wenigen Darstellern, die ein etwas überzeugenderes Schauspiel zeigen dürfen, doch auch aus seiner Figur macht der Film letztlich zu wenig. (© Vertigo Films)

 

Eine Stunde Langeweile, 5 Minuten Gewalt, eine Stunde Wirrwarr

Während die Kamerafahrten um das Schiff und durch die Kabinen durchaus atmosphärisch sind, wälzt sich der Film ansonsten auch bei der Bildgestaltung ziellos durch Horrorfilmklischees. Lichtgestaltung und Kameraführung vermitteln ständig ein Gefühl der Bedrohung: Doch The Queen Mary kippt die Grusel-Inszenierung mit harten Schatten und Kameraperspektive aus dem Verborgenen über fast jede Szene, sodass sich dies Stilmittel schnell abnutzt. Selbst ein Gespräch darüber, dass sich jemand Schokoriegel aus einem Automaten holen möchte, wird inszenatorisch ähnlich bedrohlich vorbereitet wie der Auftritt eines Geistes. Man versucht Spannungsaufbau auch dort, wo nichts Spannendes passiert. Und das ist fast die gesamte erste Stunde der Fall.

Nach der ersten Stunde folgt dann ein drastischer Wechsel und es kommt zu blutigen Gewaltausbrüchen, wie man sie von Splatterfilmen kennt: Man sieht gepaltene Köpfe und offene Schädel, in denen noch das Blut schwappt. Tatsächlich hätte der Film hier noch die Kehrtwende schaffen können. Sozusagen ein hartes Kontrastprogramm zu der unnötig ermüdenden ersten Stunde liefern können. Aber der plötzliche Stilwechsel verebbt ebenso schnell wie er aufgeschwappt ist. Die restliche Stunde verbringt der Film damit, unnötig kompliziert und über mehrere Zeitebenen verteilt die Hintergrundgeschichte des Grauens zu enthüllen. Und die möchte ich hier natürlich nicht verraten. Ich persönlich fand sie aber unglaublich öde, denn ohne psychologischen Unterbau funktioniert sie nicht, weil einem dafür die blassen Figuren einfach viel zu egal sind.

Der größte Horror folgte für mich erst nach dem Film, als ich erfuhr, dass dieser Film ursprünglich nur als erster Teil einer Trilogie über den Luxusliner Queen Mary geplant war. Angesichts der mäßigen Einspielergebnisse besteht aber Hoffnung, dass die Welt davor verschont bleibt.

Fazit zu The Queen Mary

Der Film The Queen Mary bietet gut gemachte Kamerafahrten durch das titelgebende Schiff und auch die Ausstattung für den Handlungsstrang in den 30er-Jahren überzeugt. Dem gegenüber steht ein Drehbuch, das ein Klischee ans nächste reiht und seine seichte Story unnötig verschachtelt erzählt. Auch inszenatorisch greift der Film die erste Stunde so tief in die Klischeekiste, dass es eher ermüdet als Spannung erzeugt. In der zweiten Hälfte wird der Film experimentierfreudiger, doch findet weiterhin keinen Fokus. In die Handlung werden Splatter- und sogar Animationssequenzen eingebunden, es gibt Schocksequenzen, aber diese Stilmittel bleiben nur kurze Einschübe, bevor der Film wieder in sein lahmes Tempo zurückfällt. Die Protagonisten bleiben blass, die Nebenfiguren sind kaum mehr als Abziehbilder. Folglich versprüht Gary Shores The Queen Mary letztlich Charme und Spannung einer Kaffeefahrt durch die Nordsee.

 



 

Bildrechte

Sämtliche Bildrechte zu den hier gezeigten Szenenbildern aus „Haunting of the Queen Mary“ (deutscher Titel: The Queen Mary“) liegen bei Vertigo Films.

Das Bild der historischen Queen Mary stammt von Greg Goebel von Loveland CO, USA, Queen Mary (ship, 1936) 001CC BY-SA 2.0

 



Autor: Marius Tahira

Blogger und hauptsächlich Verantwortlicher der Website marius-tahira.de, auf der er sich den Genres Horror, Dystopie und Thriller widmet. Nach einer Verlagsausbildung und seinem Germanistikstudium war er lange Zeit im Lektorat tätig und arbeitet nun im Bereich der Suchmaschinenoptimierung.

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