„Alle Verlage sind viel zu Mainstream für mich!“ – vom Selbstbetrug nach der Manuskriptablehnung

Mainstream-Verlage: Autor schreibt am Laptop an seinem Manuskript

Die großen Verlage geben ohnehin nur amerikanischen Bestseller-Autoren eine Chance. Mein Roman steckt so voller bahnbrechender Ideen, ist so schockierend – kein Wunder, dass die den abgelehnt haben“, erzählt der Nachwuchsautor über sein Manuskript, „Ich konnte als Kind schon gut schreiben. Das ist einfach eine Gabe. Und die Harry-Potter-Manuskripte haben ja auch etliche Verlage abgelehnt. Das zeigt doch, dass die keine Ahnung haben!“ Und schließlich setzt er zur ultimativen Erklärung an, warum sein Manuskript nun erneut abgelehnt wurde: „Ich bin einfach nicht Mainstream genug für die Verlage!

Wer einige Hobbyschreiber kennt, der hat solche Aussagen bestimmt schon gehört. Und wer sich in Foren oder Social-Media-Gruppen zu den Themen Literatur und Schreibhandwerk herumtreibt, hat mit Sicherheit Ähnliches bereits gelesen.

Leute, die in monatelanger Schreibarbeit ihr erstes Manuskript verfasst haben, sind oft enttäuscht und verbittert, wenn sämtliche Verlage dessen Veröffentlichung ablehnen. Dann werden Frust und Zorn darüber ins Internet geblasen. Meist erklären sich die so Zurückgewiesenen ihre Manuskriptablehnung folgendermaßen:

  • Ich bin nicht Mainstream genug, die Verlage veröffentlichen ohnehin nur für den Massengeschmack!
  • Ich bin sooooo extrem! Die haben Angst, dass mein Roman ihre verweichlichten Leser verschreckt!
  • Die Verlage und Lektoren haben doch selbst keine Ahnung: Die haben oft genug Manuskripte abgelehnt, die bei anderen Verlagen dann Bestseller wurden!

Ich möchte hierzu zwei Gegenfragen stellen: Hat ein Nachwuchsautor Dir gegenüber jemals folgendes gesagt?

  • „Es war mein erstes Manuskript und das erste Mal, dass mir nicht enge Freunde, sondern Leute aus einem redaktionellen Umfeld Feedback gegeben haben. Niemand ist beim ersten Mal perfekt, wahrscheinlich muss ich einfach etwas stärker an meinen schriftstellerischen Fähigkeiten arbeiten, bevor meine Manuskripte veröffentlichungsreif sind.“

Was mich persönlich betrifft: Ich habe noch kein einziges Mal mitbekommen, dass jemand nach einer Manuskript-Ablehnung so etwas gesagt hat. Stattdessen zeigen die meisten mit dem Finger auf andere: Ihr Manuskript sei auf Papier gegossenes Verbalgold und die Verlage und Lektoren seien nur zu blöde, das zu erkennen!

Meine zweite Frage lautet: Wenn Du Dir die Qualität der meisten Internet-Kommentare so anschaust, glaubst Du, dass die Mehrheit der Menschen fähig ist, einen fesselnden Roman zu schreiben? Denn wenn nicht, dann ist es doch ungewöhnlich, dass kaum jemand die Schuld, dass sein Roman nicht veröffentlicht wird, bei sich selbst sucht.

Manuskriptstapel eines Lektors
Typisches Bild eines Manuskriptstapels auf dem Schreibtisch eines Lektors (aus dramaturgischen Gründen geringfügig bearbeitet). Ist das wirklich alles feinstes Textgold?

Menschen, die schlecht in etwas sind, neigen eher zur Selbstüberschätzung als Leute, die gut in etwas sind

Die Überschrift fasst recht gut zusammen, was in Wissenschaft und längst auch Social Media als Dunning-Kruger-Effekt bekannt ist. Die beiden Psychologen David Dunning und Justin Kruger hatten Ende der 90er-Jahre festgestellt, dass sich viele Menschen hinsichtlich ihrer Kompetenz überschätzen. Und diese Selbstüberschätzung sei meist umso stärker, desto geringer das Kompetenzniveau der betreffenden Personen ist. Das führt zu dem grotesken Phänomen, dass sich die deutliche Mehrheit für kompetenter als der Durchschnitt hält. (Wer sich für das Thema interessiert, kann in dem hier verlinkten Artikel der Zeitschrift „GEISTIG FIT mehr darüber erfahren)

Man muss aber nicht gleich akademische Studien zurate ziehen, um Hinweise zu finden, dass bei zahlreichen Leuten das positive Selbstbild und die tatsächliche Kompetenz weit auseinanderklaffen. Die Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ liefert uns jedes Jahr Dutzende Belege dafür frei Haus. Menschen, die keinen einzigen Ton richtig treffen, halten sich für wahre Stimmwunder. Und werden dann von der Jury auf den betonharten Boden der Realität geworfen. Der Umgang mit den Vorgeführten ist dabei oft entwürdigend und entbehrt jeden Respekts. Aber das ändert nichts daran, dass sie eben wirklich miserable Sänger sind und das auch kaum jemand bezweifelt. Niemand würde annehmen, dass diese schiefen Töne höchste Gesangskunst sind und lediglich nicht Mainstream genug„.

Aber was das Schreibhandwerk betrifft, werden mir die Ausreden einiger Autoren zu häufig für bare Münze genommen: Viele glauben die Mär der von Raubtierkapitalisten geführten Verlage und von diabolischen Lektoren, die mit hämischen Lachen liebevoll angefertigte Manuskripte mit Standard-Absagen ablehnen.

Mir ist durchaus bewusst, dass es da draußen begabte und hart arbeitende Schriftsteller gibt, die sich bewusst gegen eine Verlagsveröffentlichung entschieden haben. Oder Autoren, deren Roman tatsächlich solch ein Nischenthema behandelt, dass kein Verlag ihn veröffentlichen möchte. Mein Problem ist lediglich, dass eben ein deutlich zu großer Anteil an Nachwuchsautoren behauptet, ihr Roman wäre aufgrund eines „Themas abseits des Mainstreams“ abgelehnt worden. Und da stimmt die Verhältnismäßigkeit nicht mehr, weil die meisten Manuskripte schlicht aus völlig anderen Gründen abgelehnt werden.

Grafik, die den Dunning-Kruger-Effekt darstellt
Darstellung, wie Selbstvertrauen und Kompetenz-Niveau zusammenhängen: Absolute Experten sind am selbstbewusstesten – und jene, die von nichts ’ne Ahnung haben.

Warum die meisten Manuskripte tatsächlich abgelehnt werden

Ich selbst habe in mehreren Verlagen die Vorauswahl der Manuskripte übernommen. Und aus diesem Grund möchte ich die Manuskriptsichtung einmal aus Lektorenperspektive schildern. Was sind nun also meiner Meinung nach die häufigsten Gründe für eine Manuskriptablehnung?

„Ihr Manuskript passt leider nicht in unserer Verlagsprogramm“ – die Standard-Absage ist bei 70 Prozent der eingesandten Texte absolut zutreffend

Obige Standard-Absage ist verhasst. Aber sie trifft auf die meisten Manuskripte leider zu. Für einen normal denkenden Menschen ist das sicherlich schwer nachzuvollziehen, doch die meisten Nachwuchsautoren schicken ihre Manuskripte blindlings an jeden Verlag – vollkommen egal, was der üblicherweise veröffentlicht.

Um ein Beispiel zu geben: Bei mir lag einst ein Manuskript für einen Actionthriller auf dem Tisch. Was ist nun daran so ungewöhnlich? Ich hab zu dieser Zeit im Sachbuch-Lektorat gearbeitet! Um genau zu sein: Der Autor hat seinen Thriller an ein Ressort geschickt, das sich um Bildbände und Sachbücher rund um das Thema Gartenpflege und Kochen kümmert.

Und sowas ist kein Einzelfall: Auf meinem Manuskriptstapel lagen Thriller neben medizinischen Fachmanuskripten und Krimis … nichts davon hat der entsprechende Verlag jemals veröffentlicht.

Und wie heißt es so schön: Man erntet, was man sät. Wer sich offenkundig nicht im geringsten über das Programm eines Verlages informiert hat, darf sich letztlich nicht wundern, wenn die andere Seite sich ebenso wenig Mühe bei der Manuskriptbeantwortung gibt.

 

25 bis 28 Prozent der Manuskripteinsendungen passen thematisch, sind aber hanebüchen, frech kopiert oder hundsmiserabel geschrieben

Ich war oft dankbar, wenn ein schlecht geschriebenes Manuskript gleichzeitig auch thematisch nicht passte. Denn dann konnte ich guten Gewissens die Standard-Absage nutzen: „Ihr Manuskript passt leider nicht in unser Verlagsprogramm“. Warum dankbar? Weil die meisten abgelehnten Manuskripte einfach unterirdisch schlecht waren. Und obwohl viele behaupten, dass sie gern konstruktives Feedback möchten, wollen sie eigentlich nur hören, wie großartig ihr Manuskript ist. Die Standard-Absage bewahrte mich davor, die volle Wahrheit schreiben zu müssen. Das war vor allem von Vorteil, wenn mal wieder so etwas auf den Tisch flatterte:

„Mein Manuskript mag für Ihren Verlag vielleicht etwas zu actionbetont sein, aber besticht durch einen überaus interessanten Hauptcharakter: Es geht um einen suspendierten Kriminalbeamten, der ein Herz für Gerechtigkeit hat, aber im Kampf gegen das Verbrechen manchmal zu rabiat ist. Als er eines Tages seine Tochter bei einer Firmenfeier in ein Hochhaus begleitet, wird er Zeuge, wie skrupellose Terroristen eben jenes Hochhaus durch eine Geiselnahme in ihre Gewalt nehmen.“

Da lag es nun also vor mir, dieses Manuskript. Der Autor lobt im Exposé die glaubwürdigen Charaktere und die spannenden Twists. Wer sich etwas mit dem 80er-Jahre-Kino auskennt, dürfte allerdings ahnen, mit welchem Unglauben ich auf diesen Text schaute. Dem Schreiben nach war der Autor der festen Überzeugung, etwas unfassbar Originelles geschrieben zu haben. Tatsächlich hatte er aber mit minimalen Abweichungen die Handlung des Films „Stirb Langsam“ eins zu eins kopiert.

Der harte Cop, der actionreich gegen Terroristen vorgeht. Ein Autor hat seine Stirb-langsam-Kopie als originäres Meisterwerk angepriesen. Auch dieses Manuskript ging übrigens an eine Sachbuch-Redaktion.

Natürlich habe ich das Manuskript abgelehnt. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass der Autor später seinen Freunden erzählte, dass sein hartes, actiongeladenes Manuskript den Verlagen einfach nicht Mainstream genug war. Denn eine Story, die als Film über 200 Millionen Dollar eingespielt hat, ist doch nicht Mainstream … nein, nein, das ist unangepasste Underground-Literatur … zumindest in den Träumen mancher Schreiber.

Frau mit Mundschutz: Heilkundler schimpfen oft auf sie, wollen aber auch zu den Mainstream-Autoren gehören.
Ein Manuskript zur Heilung von AIDS und Krebs lag auch schon auf meinem Tisch. Eine schnelle Recherche ergab, dass dort Theorien einer Medizinerin aufgegriffen wurden, die es mit Hygieneregeln nicht ganz so genau nahm.

Eine weitere Anekdote: Ein anderes Manuskript versprach Bahnbrechendes: Es war ein Sachbuch-Manuskript, das schilderte, wie man Krebs und AIDS heilen könne. Und ich habe bis heute ein schlechtes Gewissen, dass ich der Welt diese Wunderheilungsmethode vorenthalten habe. Eine schnelle Recherche ergab allerdings, dass diese Heilungslehren auf den Theorien einer Ärztin beruhten, deren Praxis man aufgrund von Verstößen gegen Hygienevorschriften geschlossen hatte. Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie erschien mir das nicht seriös …

Das sind natürlich Extremfälle. Aber sie verdeutlichen, wie stark Selbstbild und Realität bei einigen Autoren auseinanderklafft. Denn in beiden Fällen waren die Schreiber davon überzeugt, etwas wahrhaft Großartiges geschaffen zu haben.

Die meisten thematisch passenden Manuskripte, die abgelehnt werden, fallen aber nicht in die Kategorie des totalen Irrsinns. Sie enthalten schlicht und einfach noch zu viele kleine Schwächen: Seien es ausufernde Handlungsstränge, Charaktere ohne Ecken und Kanten (die häufig nur überidealisierte Projektion des Autoren-Ichs sind) oder Wortwiederholungen und etliche Passivkonstruktionen (Im Gespräch wurde ihr gesagt, dass ihr Mann ermordet worden war. Sie wurde von Entsetzen gepackt und von Grauen geschüttelt„).

Nun wäre es natürlich schön, wenn man diesen Leuten einen kleinen Hinweis geben würde, an welchen Schwachstellen sie noch arbeiten könnten. Doch es ist mitnichten so, dass Leute Feedback immer positiv aufnehmen. Nein, viele fangen dann an zu diskutieren, … oder zu beleidigen. Und niemand hat Lust, jeden Morgen bei Arbeitsbeginn zunächst einmal sämtliche Mails mit Beleidigungen wegklicken zu müssen. Und genau aus diesem Grund gibt es eben kaum noch ausführlicheres Feedback in den Manuskript-Absagen. Denn wer sich die Mühe macht, ein paar Hinweise zu geben, woran es noch hapert, riskiert, als Dank eine beleidigende Wut-Mail zu erhalten.

Faust, die durch eine Scheibe schlägt
Nur, weil jemand um konstruktives Feedback bittet, heißt das nicht, dass er nett auf eine wahrheitsgemäße Antwort reagiert.

Zugebenermaßen dürfte das aber nicht der Hauptgrund dafür sein, dass inzwischen fast nur noch 0815-Absagen versandt werden. In vielen Verlagen fehlt es schlicht an Zeit und Personal, um ausführlicher auf Manuskripte zu antworten. Ich habe das früher vereinzelt noch getan. Aber tatsächlich nur bei Autoren, deren Manuskript darauf schließen ließ, dass die Verfasser ihr Schreibhandwerk ernst betrieben und hart an sich gearbeitet haben.

Und damit sind wir wieder bei den Dunning-Kruger-Effekt: Gerade die, die hart an ihrer Ausdrucksfähigkeit und Schriftbeherrschung gearbeitet haben, nehmen auch Kritik am besten auf. Jene, die 50 Rechtschreibfehler auf nur einer Manuskriptseite fabrizieren und einfach den zuletzt gesehenen Horrorthriller kopieren, fühlen sich hingegen über jede Kritik erhaben. Bei ihnen heißt es bar jeder Selbstkritik nur: „Ich bin einfach nicht Mainstream genug für die Verlage!

 

Unangenehme Entscheidungen: Bei den letzten 2 bis 5 Prozent spielt die Rentabilität tatsächlich eine Rolle

Nun kommen wir zu dem Bereich, der laut einhelliger Meinung zahlreicher abgelehnter Autoren der Normalfall ist: Ein Manuskript wird abgelehnt, weil die Zielgruppe als zu klein eingeschätzt wird. Der Text ist gut, aber weil er nicht dem Mainstream-Interesse entspricht, wäre die Veröffentlichung für den Verlag vermutlich ein Verlustgeschäft.

Und ja, das passiert. Aber wie oft ist das tatsächlich der Hauptgrund für eine Ablehnung? Wie oft passt ein Manuskript grundsätzlich zum Verlagsprogramm, ist gut geschrieben und wird ausschließlich deswegen abgelehnt, weil es eine deutlich zu kleine Nischengruppe anspricht? Was meine Lektoratsarbeit betrifft, kann ich mir diese Zahl gut merken, denn sie ist überaus klein: Ich habe das nur drei Mal miterlebt!

Es handelte sich dabei um hervorragend geschriebene Bücher, deren Zielgruppe in Deutschland aber voraussichtlich winzig war. Und es war absehbar, dass der Verlag mit ihrer Veröffentlichung ein Minusgeschäft machen würde. Und ein Verlag, der gute Bücher veröffentlicht, die aber nicht mal ihre Herstellungs- und Vertriebskosten wieder einbringen, der geht früher oder später pleite. Und die Autoren genau dieser drei Bücher haben alles Recht der Welt zu sagen: „Mein Manuskript ist super. Es wurde nur abgelehnt, weil ich dem Verlag nicht Mainstream genug war!

Alle anderen Manuskripte habe ich abgelehnt, weil sie nicht das geringste mit dem Verlagsthema zu tun hatten oder einfach hundsmiserabler Schrott waren. Ich weiß, diese Äußerung mag auf einige arrogant wirken, aber um es mal in aller Deutlichkeit zu sagen: Es gibt da draußen etliche Leute, die keine zwei Sätze fehlerfrei schreiben können, aber meinen, sie hätten so großes Talent, dass sie ohne jede Übung schon mit dem ersten Versuch einen Bestseller landen. Doch wenn dann der Reality-Check kommt, es eine Absage nach der anderen hagelt, dann überdenken sie ihr Selbstbild immer noch nicht. Statt die Qualität ihres Manuskriptes infrage zu stellen, tönt aus ihnen dann eben das altbekannte „Ich bin einfach nicht Mainstream genug für die Verlage!

Tabelle mit den häufigsten Gründne der Manuskriptablehnung
Meiner Erfahrung nach (und der vieler meiner Kollegen) ist der Anteil an Manuskripten, die tatsächlich nur deswegen ablehnt werden, weil sie ein Nischenthema behandeln, verschwindend gering. Die Prozentzahlen sind grobe Schätzwerte.

Natürlich kann man auch ein guter Autor sein, ohne bei einem großen Verlag unter Vertrag zu stehen. Aber der Schritt, der einen zur kritischen Distanz zum eigenen Werk befähigt, ist eben jener, der meiner Meinung nach auch einen guten Selfpublishing-Autor von einem schlechten trennt. Der eine zieht in Betracht, dass er Feedback von außen für ihn hilfreich sein kann und er wird akribisch an seinem Manuskript feilen und es in jeder Hinsicht lesefreundlich gestalten, bevor er es veröffentlicht. Der andere rotzt seinen halbgaren Text ohne Überarbeitung als Selbstveröffentlichung raus. Und wenn das dann niemand lesen mag, dann sind die Menschen da draußen einfach alle zu dumm, um seine Genialität zu verstehen.

 

Kritik an kapitalistischen Mainstream-Verlagen ist unehrlich, wenn sie erst nach der Absage kommt

Oft heißt es, dass die großen Verlage kaum noch auf den künstlerischen Wert von Manuskripten achten, sondern nur auf deren kommerziellen Vermarktbarkeit. Und teilweise kann ich diese Kritik durchaus nachvollziehen. Viele große Verlage sind inzwischen knallhart kalkulierende Wirtschaftsunternehmen, die vor allem den Gewinn im Auge haben. Trotzdem kommt mir diese Kritik zumindest teilweise unehrlich oder unfair vor.

Unehrlich deswegen, weil diese millionenschweren Verlage weiterhin die meisten Manuskripteinsendungen erhalten. Wahrscheinlich eben auch deswegen, weil sie Bücher am besten vermarkten können. Das heißt, viele senden ihre Manuskripte an die großen Publikumsverlage – voller Hoffnung, mit deren Hilfe den nächsten Bestseller zu publizieren. Aber wenn dann die Absagen kommen, wird auf entsprechende Verlage und ihre kapitalistische Ausrichtung geschimpft. Sprich: So mancher träumt von der Erfüllung all seiner kapitalistischen Träume durch einen Millionenbestseller, schimpft aber dann auf den Kommerz, sobald er den eigenen Traum von großen Geld aufgeben muss.

Unfair erscheint mir der Vorwurf der kalt berechnenden Kapitalisten, wenn er den Verlegern der kleinen und mittelgroßen Verlage oder den dort angestellten Redakteuren und Lektoren gilt. Denn es mag vielleicht für manche eine Überraschung sein, aber man verdient in diesen Bereichen gemessen am Einstiegsgehalt anderer Akademiker eher mau. Man kann also durchaus davon ausgehen, dass Profitgier selten Grund ist, sich für diesen Karriereweg zu entscheiden. Die meisten Leute dort entscheiden sich aus Leidenschaft für Literatur, diesen Job zu ergreifen. Und insbesondere bei vielen jüngeren Verlagen dürfte es vor allem die Liebe zu einem bestimmten Genre gewesen sein, die zur Verlagsgründung geführt hat. Denn ganz unter uns: Speziell mit Horror- und anderer Genre-Literatur wird man – wenn man nicht gerade die Rechte an King oder Koontz hat – hierzulande eher selten reich.

Natürlich müssen auch diese Verlage wirtschaftlich kalkulieren. Doch gerade bei Kleinverlagen dürfte dabei selten die Gewinnmaximierung im Vordergrund stehen, sondern in erster Linie die bloße Kostendeckung. Es ist schade, wenn deswegen ein gutes Buch keinen Verlag findet. Aber auf der anderen Seite ist „Nicht-Mainstream-Sein“ allein noch keine Auszeichnung. Denn viele Bücher werden einfach nur deswegen nicht von der großen Masse gelesen, weil sie nur in einer Hinsicht besonders sind: Sie sind besonders schlecht.

 

 

Bildnachweise:



Autor: Marius Tahira

Blogger und hauptsächlich Verantwortlicher der Website marius-tahira.de, auf der er sich den Genres Horror, Dystopie und Thriller widmet. Nach einer Verlagsausbildung und seinem Germanistikstudium war er lange Zeit im Lektorat tätig und arbeitet nun im Bereich der Suchmaschinenoptimierung.

1 Gedanke zu “„Alle Verlage sind viel zu Mainstream für mich!“ – vom Selbstbetrug nach der Manuskriptablehnung

  1. Hallo, Marius,

    wieder ein Blogartikel, den ich – soweit ich es aus meiner Sicht als Autor – nachvollziehen kann. Als mehrjähriges Mitglied eines Kurzgeschichtenforums durfte – oder besser gesagt: musste – ich miterleben, womit manche, die sich Autoren nennen, ihre Mitmenschen zu quälen gedenken. Wenn diese Zeitgenossen sich dann noch erfolgreich einem Druckkostenzuschussverlag anvertrauen, kommen solche geistigen Ergüsse auch noch auf den Buchmarkt. Und ärgern den Leser, der für die Produkte Geld ausgibt. Dem Leser sei geraten, vor dem Kauf den „Blick ins Buch“ zu wagen, wie die Leseprobe früher beim großen A hieß. Und den DKZV sei angeraten, ihre Verantwortungslosigkeit zu überdenken. Bevor ich über Rezensionen zu meinem ersten Korrektorat kam, hatte ich mich mit Erfolg bei einem Kleinverlag als Testleser beworben. Ich erhielt drei eBooKs mit der nächsten Mail. Der Verlag nannte sie Anthologien. Ein eBook arbeitete ich durch, schaute zum Vergleich noch in das zweite und gab am nächsten Tag mit meinem Kommentar (samt Nachweis, dass die von mir gefundenen Schwachstellen wirklich existierten) die Bücher und meinen frisch erworbenen Titel als Testleser zurück. Am schlimmsten fand ich, dass die Beiträge des Verlegerpaares keinen Deut besser waren als die meisten Beiträge der übrigen Autoren.

    Beste Grüße
    Michael Kothe, Autor

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